Nachweisanforderungen für den Vorsteuerabzug

Ist ein Vorsteuerabzug zulässig, obwohl der Unternehmer die gezahlte Umsatzsteuer nicht durch Vorlage von Rechnungen nachweisen kann? Diese Frage musste der EuGH in der Rechtssache "Vădan" beantworten.

Vorsteuerabzug ohne Rechnung?

Bei dem rumänischen Vorabentscheidungsersuchen ging es um die Nachweisanforderungen für den Vorsteuerabzug. Das Vorlagegericht fragte, ob die Bestimmungen der MwStSystRL sowie die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit es erfordern, einem Steuerpflichtigen, der die sachlichen Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug erfüllt, zu gestatten, von seinem Vorsteuerabzugsrecht Gebrauch zu machen, wenn er in einem besonderen Kontext wie dem des Ausgangsverfahrens nicht in der Lage ist, die als Vorsteuer für die Lieferung von Gegenständen und Dienstleistungen gezahlten Beträge durch Vorlage steuerlicher Rechnungen nachzuweisen.

Schätzung als Grundlage?

Für den Fall, dass dies zu bejahen ist, fragte das Vorlagegericht weiter, ob eine Schätzung (im Wege eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens), die von einem unabhängigen Bewerter auf der Grundlage des sich aus einem die Gebäude betreffenden Gutachten ergebenden Umfangs der Arbeiten/Arbeitsleistung vorgenommen wird, eine zulässige und angemessene Maßnahme zur Bestimmung des Umfangs des Vorsteuerabzugsrechts darstellen kann, wenn die Lieferungen von Gegenständen (Baumaterialien) und die Dienstleistungen (Arbeitsleistung zur Errichtung der Bauwerke) von Unternehmern stammen.

Unternehmer wird rückwirkend steuerpflichtig

Der Kläger errichtete als natürliche Person eine Wohnanlage mit insgesamt 90 Apartments, die in der Zeit zwischen Juni 2006 und September 2008 fertig gestellt wurden. Da die vom Kläger getätigten Umsätze im Lauf des Monats Juni 2006 die rumänische Kleinunternehmergrenze überstiegen, wurde er rückwirkend beginnend mit dem 1.1.2006 mehrwertsteuerpflichtig. Die Finanzbehörde setzte für den Zeitraum vom 1.8.2006 bis zum 31.12.2009 MwSt sowie Verspätungszinsen fest. Im Einspruchsverfahren beantragte der Kläger, ihm in dem Fall, dass er zum Unternehmer erklärt würde, das Vorsteuerabzugsrecht zuzuerkennen, brachte aber gleichzeitig vor, dass er nicht mehr im Besitz der erforderlichen Originalrechnungen sei.

Ursprünglich keine Verpflichtung, Rechnungen aufzubewahren

Nach Vortrag des Berufungsgerichts in dem Verfahren hatte das erstinstanzliche Gericht das Vorbringen des Klägers, wonach er, da er zur Zeit der Errichtung der Bauwerke nicht als mehrwertsteuerpflichtig registriert gewesen sei, nicht verpflichtet gewesen sei, Belege für die Zahlung der MwSt an die leistenden Unternehmer im Hinblick auf eine mögliche Ausübung des Vorsteuerabzugsrechts aufzubewahren, und wonach der Gesamtbetrag der von ihm an die Leistungserbringer gezahlten MwSt über dem Gesamtbetrag liege, den die Steuerbehörden als für die Immobiliengeschäfte geschuldet festgestellt hätten, ohne Begründung zurückgewiesen.

Das Berufungsgericht stellte auch fest, dass das erstinstanzliche Gericht aufgrund seiner aktiven Rolle die Möglichkeit gehabt hätte, vom Kläger zusätzliche Beweise in Form von Schriftstücken zu verlangen, um bezüglich der konkreten Situation zutreffend beurteilen zu können, ob der Kläger verpflichtet gewesen sei, das Vorsteuerabzugsrecht ausschließlich durch Originalbelege nachzuweisen, oder ob er dies auch mittels anderer Dokumente hätte tun können.

Der Kläger machte geltend, dass die Untätigkeit der Steuerbehörden und das Fehlen einer eindeutigen Praxis zum Zeitpunkt der in Rede stehenden Umsätze zu einer Situation geführt hätten, in der er nicht verpflichtet gewesen sei, Unterlagen bezüglich getätigter Investitionen aufzubewahren. Außerdem habe er als Begünstigter für sämtliche Lieferungen, die von den Lieferern der für die Errichtung der Gebäude erforderlichen Gegenstände und Dienstleistungen erbracht worden seien, MwSt gezahlt. Die Steuerbehörde könne die Zahlung dieser Beträge nicht außer Acht lassen und müsse sie bei der Festlegung seiner steuerlichen Pflichten berücksichtigen, indem sie sie mangels Originalrechnungen durch ein Sachverständigengutachten bestimme.

Entscheidung: Sachverständigengutachten reicht nicht aus

Der EuGH hat entschieden, dass nach Art. 167, Art. 168, Art. 178 Buchst. a und Art. 179, MwStSystRL und nach dem Neutralitätsgrundsatz in Fällen wie denen des Ausgangsverfahrens ein Unternehmer, der nicht in der Lage ist, durch Vorlage von Rechnungen oder anderen Unterlagen den Betrag der von ihm gezahlten Vorsteuer nachzuweisen, nicht allein auf der Grundlage einer Schätzung in einem vom nationalen Gericht angeordneten Sachverständigengutachten das Recht auf Vorsteuerabzug geltend machen kann. Durch ein solches Gutachten, das allein die abzugsfähige Vorsteuer auf der Grundlage des Umfangs der Arbeiten bzw. der Arbeitsleistung ermittelt, die der Unternehmer vorgenommen bzw. in Anspruch genommen hat und die zur Errichtung der von ihm verkauften Gebäude erforderlich gewesen sind, kann nach dem Urteil nicht nachgewiesen werden, dass die Steuer auf die Eingangsumsätze auch tatsächlich gezahlt wurde.

Objektive Nachweise erforderlich

Der EuGH bezieht sich in seiner Entscheidung auf sein Urteil "Barlis 06" (Urteil v. 15.9.2016, C-516/14, Haufe Index 9759547).  Danach muss der Unternehmer durch objektive Nachweise belegen, dass ihm andere Unternehmer auf einer vorausgehenden Umsatzstufe tatsächlich Gegenstände geliefert oder Dienstleistungen erbracht haben, die seinen der MwSt unterliegenden Umsätzen dienten und für die er die MwSt tatsächlich entrichtet hat.

Vorsteuerabzug ohne Rechnung grundsätzlich denkbar

Das Urteil betraf einen Sonderfall im Zeitraum des Beitritts Rumäniens zur EU. Zwar kommt der EuGH mittelbar zu dem Ergebnis, dass im Ausgangsfall ein Vorsteuerabzug auch gänzlich ohne Vorliegen einer Rechnung denkbar sein kann, wenn der Unternehmer die Voraussetzungen hierfür durch objektive Beweise belegen kann. Gleichwohl dürfte das Urteil nicht so zu verstehen sein, dass der Vorsteuerabzug (angesichts der vom EuGH wiederholten Feststellung, dass eine Rechnung nur formale Bedeutung für den Vorsteuerabzug hat) generell auch ohne Besitz einer entsprechenden Rechnung möglich ist.

Steuer muss bezahlt worden sein

Dies erscheint bereits dadurch widerlegt, dass der EuGH in Rz. 40 des Urteils bezüglich der formellen Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs nach Art. 178 Buchst. a MwStSystRL auch den Besitz einer Rechnung für erforderlich hält. Aus dem Urteil kann allenfalls geschlossen werden, dass in besonders gelagerten Einzelfällen, in denen der Unternehmer (aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen) nicht (mehr) über eine Rechnung verfügt, die materiellen Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs mit anderen Objektivnachweisen belegen kann, wozu aber auch gehört, dass die ihm in Rechnung gestellte MwSt tatsächlich bezahlt wurde.

Deutsche Regelung bestätigt

Daraus ergibt sich, dass der Vorsteuerabzug letztlich nicht möglich ist, wenn die in der Rechnung ausgewiesene Steuer nicht vom Rechnungsempfänger bezahlt wird. Insofern bestätigt der EuGH wiederum die nationale Regelung in § 17 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Abs. 2 Nr. 1 UStG.

EuGH, Urteil v. 21.11.2018, C-664/16 (Lucrețiu Hadrian Vădan), Haufe Index 12411042

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