Gestaltungsmissbrauch durch Umlegungsverfahren

Die Steuerbefreiung nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 Buchst. b GrEStG in der bis zum 28.12.2020 geltenden Fassung (a.F.) kann nicht in Anspruch genommen werden, wenn der Eigentumserwerb durch Zuteilung in einem Umlegungsverfahren einen Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten nach § 42 AO darstellt.

 Ein solcher Gestaltungsmissbrauch liegt vor, wenn das Umlegungsverfahren zweckwidrig dazu genutzt wird, einen reinen Rechtsträgerwechsel an einem Grundstück zu bewirken.

Hintergrund: Gesetzliche Regelung

Nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 GrEStG unterliegt der Übergang des Eigentums an einem Grundstück der Grunderwerbsteuer, wenn kein den Anspruch auf Übereignung des Grundstücks begründendes Rechtsgeschäft vorausgegangen ist und es auch keiner Auflassung bedarf. Ein grunderwerbsteuerbarer Vorgang im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 GrEStG ist auch der Erwerb des Eigentums an einem Grundstück durch Zuteilung im Rahmen eines Umlegungsverfahrens nach den §§ 45 ff. des Baugesetzbuches (BauGB), soweit die einem Beteiligten zugeteilten Flächen nicht mit dem ihm vorher gehörenden sogenannten Einwurfgrundstück flächen- und deckungsgleich sind.

Sachverhalt

Der dem Rechtsstreit zugrundeliegende Sachverhalt stellt sich verkürzt wie folgt dar:

  • Im Jahr 1980 leitete die Stadt L ein Umlegungsverfahren ein. Zweck des Umlegungsverfahrens war die Umsetzung eines Teils eines Bebauungsplans.
  • Die Klägerin, eine GmbH, war zunächst nicht Eigentümerin von Grundstücken im Umlegungsgebiet. In dem Umlegungsgebiet befanden sich lediglich Grundstücke, an denen für die Klägerin Erbbaurechte bestellt waren.
  • Aufgrund von Erweiterungen des Umlegungsgebiets in den Jahren 2001 bis 2007 sowie durch rechtsgeschäftlichen Erwerb wurde die Klägerin Eigentümerin von unmittelbar in der Nähe der Erbbaurechtsgrundstücke befindlichen Grundstücken.
  • Nach diesen Zuteilungen und Erwerben war die Klägerin Eigentümerin oder Erbbauberechtigte von im Wesentlichen zusammenhängenden Grundstücken, die lediglich durch ein Grundstück des Herrn A getrennt wurden. Die Klägerin versuchte in der Folgezeit vergeblich, dieses Grundstück von A unmittelbar zu erwerben.
  • Mit Beschluss des Umlegungsausschusses aus dem Jahr 2010 erweiterte die Stadt L das Umlegungsgebiet auf das Grundstück des A und auf zwei der Stadt L gehörende Grundstücke, die anschließend der Klägerin zugeteilt wurden.
  • A erhielt von der Stadt L für den Verlust seines Eigentums eine Entschädigung. Die Stadt L sanierte das Grundstück auf eigene Kosten. Die Klägerin hatte für die Zuteilung der Flurstücke des A und der Stadt L im Gegenzug eine Ausgleichszahlung an die Stadt L zu leisten.

Bisheriger Verfahrensgang

Das FA setzte mit Grunderwerbsteuerbescheid vom 20.12.2013 gegenüber der Stadt L Grunderwerbsteuer fest. Dabei ging es von einer Grundstücksübertragung von der Stadt L auf die Klägerin aus. Gegen diesen Bescheid legte die Stadt L Einspruch ein. Zu dem Einspruchsverfahren zog das FA die Klägerin nach § 174 Abs. 5 AO hinzu. Mit seiner Einspruchsentscheidung hob das FA den Grunderwerbsteuerbescheid gegenüber der Stadt L auf und erließ einen betragsmäßig gleichlautenden Bescheid gegenüber der Klägerin.

Die hiergegen gerichtete Klage wurde vom FG abgewiesen. Das FG führte im Wesentlichen aus, dass der Erwerbsvorgang der mit Umlegungsbeschluss aus dem Jahr 2010 zugeteilten Grundstücke zwar formal den Befreiungstatbestand des § 1 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 Buchst. b GrEStG in der bis zum 28.12.2020 geltenden Fassung (a.F.) erfülle, sich dieser jedoch als Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten nach § 42 AO darstelle, sodass die Zuteilung wie ein käuflicher Erwerb zu behandeln sei.

Entscheidung: Grunderwerbsteuerbefreiung greift nicht

Der BFH hat die Revision der Klägerin als unbegründet zurückgewiesen. Das FG hat zutreffend erkannt, dass für den Grundstückserwerb der Klägerin die Grunderwerbsteuerbefreiung nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 Buchst. b GrEStG a.F. nicht greift, da ein Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten nach § 42 AO vorliegt.

Eigentumsübergang kraft Gesetzes (§ 1 Abs. 1 Nr. 3 GrEStG)

Die Zuteilung der Flurstücke an die Klägerin mit Beschluss des Umlegungsausschusses aus dem Jahr 2010 ist ein Erwerbsvorgang nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 GrEStG. Die Klägerin hat im Umlegungsverfahren aufgrund der Zuteilung durch Vorwegentscheidung der Stadt L mit Beschluss des Umlegungsausschusses das Eigentum an den Flurstücken erhalten, ohne dass ein Rechtsgeschäft, das einen Übereignungsanspruch begründet hat, vorausgegangen ist und ohne dass es einer Auflassung bedurfte. Die mit dem Beschluss aus 2010 zugeteilten Grundstücke waren auch nicht mit etwaigen der Klägerin vorher gehörenden Einwurfgrundstücken flächen- und deckungsgleich.

Steuerbefreiungstatbestand grundsätzlich erfüllt

Nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut (§ 1 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 Buchst. b GrEStG a.F.) ist die Befreiung von der Grunderwerbsteuer nur an die Voraussetzung geknüpft, dass es sich um einen Übergang des Eigentums im Umlegungsverfahren nach dem Baugesetzbuch handelt und der Erwerber als Eigentümer eines im Umlegungsgebiet gelegenen Grundstücks Beteiligter ist. Der Übergang des Eigentums an den Flurstücken erfolgte im Urteilsfall in einem Umlegungsverfahren nach dem BauGB. Ob diese Zuteilung den Rechtsvorschriften des BauGB entsprach, sie also umlegungsbedingt erfolgt ist, ist dabei unerheblich. Die Klägerin war in dem Umlegungsverfahren als Eigentümerin von wenigstens einem im Umlegungsgebiet gelegenen Grundstück formell Beteiligte nach § 48 Abs. 1 Nr. 1 BauGB.

Aber Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten

Die Klägerin kann die Steuerbefreiung jedoch nicht in Anspruch nehmen, da der Eigentumserwerb durch Zuteilung der Flurstücke mit dem Umlegungsbeschluss aus 2010 einen Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten nach § 42 AO darstellt. Ein Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten liegt im Rahmen des § 1 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 Buchst. b GrEStG a.F. vor, wenn ein Umlegungsverfahren dazu genutzt wird, einen reinen Rechtsträgerwechsel an einem Grundstück zu bewirken, das Umlegungsverfahren also zweckentfremdet wird.

Das FG stützt seine Beurteilung, dass eine rechtlich missbräuchliche Gestaltung nach § 42 AO vorliegt, darauf, dass mit dem Umlegungsausschuss der Stadt L ein Verfahren gewählt wurde, das darauf gerichtet war, der Klägerin das Eigentum an den Flurstücken zu verschaffen, ohne dass Grunderwerbsteuer entsteht. Das Verfahren diente allein dazu, der Klägerin für ein zusammenhängendes Areal zur Erweiterung ihrer Betriebsgrundstücke das Eigentum an den in unmittelbarer Nähe befindlichen Grundstücken des A und der Stadt L zu verschaffen. Diese Würdigung des FG verstößt weder gegen Erfahrungssätze noch gegen Denkgesetze und ist zumindest möglich.

Daher keine Steuerbefreiung, trotz Vorliegen der formellen Voraussetzungen

Liegt danach ein Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten vor, so entsteht der Steueranspruch nach § 42 Abs. 1 Satz 3 AO so, wie er bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen rechtlichen Gestaltung entstünde. Im Fall einer im Sinne des § 42 AO missbräuchlichen Zuteilung im Umlegungsverfahren ist diese grunderwerbsteuerrechtlich so zu behandeln, als hätte der neue Eigentümer die Grundstücke von dem einbringenden Eigentümer erworben, ohne dass der Erwerb die Steuerbefreiung nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 Buchst. b GrEStG a.F. erfüllt.

BFH, Urteil v. 11.12.2024, II R 14/22, veröffentlicht am 8.5.2025

Alle am 8.5.2025 veröffentlichten Entscheidungen des BFH mit Kurzkommentierungen