Förderung der Facharztausbildung durch das Thüringen-Stipendium

Leistungen aufgrund eines Fördervertrags mit der "Stiftung zur Förderung der ambulanten ärztlichen Versorgung im Freistaat Thüringen" sind unter bestimmten Umständen nicht steuerbar.

Hintergrund: Verpflichtung zur späteren Tätigkeit in Thüringen

A studierte bis zum Frühjahr 2012 Medizin. Im Herbst 2012 schloss sie mit der "Stiftung zur Förderung der ambulanten ärztlichen Versorgung im Freistaat Thüringen" einen Fördervertrag. Danach erhielt sie eine Einmalzahlung in Höhe von 15.000 EUR. Im Gegenzug verpflichtete sie sich, die Weiterbildung in ihrem Fachgebiet zu absolvieren und an der Facharztprüfung teilzunehmen sowie nach der Facharztprüfung für mindestens 4 Jahre im Bereich des Freistaats Thüringen an der vertragsärztlichen Versorgung teilzunehmen. Sollte A diesen Verpflichtungen nicht nachkommen, war sie verpflichtet, den Förderbetrag zurückzuzahlen.

A setzte für das Streitjahr 2012 die erhaltenen 15.000 EUR nicht als Einkünfte an. Das FA berücksichtigte dagegen den Förderbetrag als sonstige Einkünfte i.S.v. § 22 Nr. 3 Satz 1 EStG.

Das FG bestätigte die Beurteilung des FA und wies die Klage ab. Das Stipendium sei als Entgelt durch das marktgängige Verhalten der A veranlasst.

Entscheidung: Stipendienzahlung als nicht steuerbare Leistung

Der BFH widerspricht dem FG. Die Einmalzahlung der Stiftung ist nicht durch eine Leistung der A i.S.v. § 22 Nr. 3 EStG veranlasst. Denn auslösendes Moment für die Zahlung war nicht die künftige ärztliche Tätigkeit, sondern die erklärte Bereitschaft, künftig in Thüringen tätig zu sein. Der BFH gab daher der Klage statt.

Begriff der sonstigen Einkünfte

Eine (sonstige) Leistung i.S. des § 22 Nr. 3 EStG ist jedes Tun, Dulden oder Unterlassen, das Gegenstand eines entgeltlichen Vertrags sein kann und eine Gegenleistung auslöst. Entscheidend ist, ob die Gegenleistung (das Entgelt) durch das Verhalten des Steuerpflichtigen (Leistung) veranlasst ist (BFH v. 24.4.2012, IX R 6/10, BStBl II 2012, 581). Für die wirtschaftliche Veranlassung der Gegenleistung durch die Leistung ist die (objektivierte) Perspektive des Leistenden maßgebend. Die Leistung muss "um des Entgelts willen" erbracht werden (BFH v. 13.3.2018, IX R 18/17, BStBl II 2018, 531). Preisgelder für die Teilnahme an einer Fernsehshow stellen sich danach als Gegenleistung für die Teilnahme an der Show dar, auch wenn die Aussicht auf den Erhalt der Gegenleistung ex ante ungewiss ist (BFH v. 24.4.2020, IX R 6/10, BStBl II 2012, 581).

Abgrenzung zu nicht steuerbaren Einnahmen

§ 22 Nr. 3 EStG erfasst, ergänzend zu den übrigen Einkunftsarten, das Ergebnis einer Erwerbstätigkeit und setzt wie diese die allgemeinen Merkmale des Erzielens von Einkünften nach § 2 EStG voraus (BFH v. 11.7.2017, IX R 28/16, BStBl II 2018, 86, Rz 27). Das bedeutet nicht, der Leistende müsse bereits beim Erbringen seiner Leistung eine Gegenleistung erwarten. Erforderlich – aber auch ausreichend – ist vielmehr, eine objektivierende, wertende Betrachtung des wirtschaftlichen Zusammenhangs zwischen Leistung und Gegenleistung, wonach die Leistung die Gegenleistung ausgelöst haben muss (BFH v. 24.4.2012, IX R 6/10, BStBl II 2012, 581). Dadurch ordnet der Leistende sein Verhalten der erwerbswirtschaftlich und damit auch steuerrechtlich bedeutsamen Sphäre zu. Ist der Austausch zwischen der Leistung und der im wirtschaftlichen Zusammenhang damit erbrachten Gegenleistung danach erwerbsgerichtet, dient er dem Erzielen von Einkünften i.S. des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 EStG (BFH v. 21.9.2004, IX R 13/02, BStBl II 2005, 44).

Kein Entgelt für die spätere Berufstätigkeit

Die vom FG angenommene Veranlassung der Einmalzahlung durch die spätere Berufstätigkeit bzw. durch das Unterlassen einer beruflichen Betätigung außerhalb des Freistaats Thüringen lässt sich dem Fördervertrag nicht entnehmen. Nach dem Vertrag erhielten die Stipendiaten die Förderung bereits dann, wenn sie sich "verpflichten", nach erfolgreichem Abschluss der Facharztprüfung für vier Jahre in Thüringen tätig zu sein. Auslösendes Moment für die Einmalzahlung – und insofern Kern und Schwerpunkt des Fördervertrags – war somit die im Zeitpunkt der Unterzeichnung des Vertrags erklärte Bereitschaft, zukünftig in Thüringen tätig zu sein. Die zukünftige ärztliche Tätigkeit selbst ist dagegen nicht der Grund für die Zahlung, sondern schafft lediglich die weiteren Voraussetzungen für das Behaltendürfen der Einmalzahlung.

Kein leistungsbezogenes Entgelt für die Bereitschaftserklärung

Die Rechtsprechung zu vertraglich vereinbarten Wettbewerbsverboten ist nicht auf den Streitfall übertragbar. Bei einem Wettbewerbsverbot ist die Zahlung ein Entgelt für ein Unterlassen. Der Wettbewerber verpflichtet sich (einklagbar), seine Leistungen in einem bestimmten Gebiet zu unterlassen, und erhält dafür das Entgelt als Ausgleich (BFH v. 11.3.2003, IX R 76/99, BFH/NV 2003, 1161).

Im Streitfall liegen die Dinge anders. Die Stiftung konnte weder (einklagbar) durchsetzen, dass sich A in Thüringen niederlässt, noch konnte sie (einklagbar) verhindern, dass sich A außerhalb Thüringens betätigt. Bei der Einmalzahlung handelt es sich somit nicht um ein leistungsbezogenes Entgelt. Die Höhe der Zahlung ist nicht durch die Verpflichtungserklärung der A "wirtschaftlich" veranlasst. Insbesondere sind die Bereitschaftserklärung der A und die Zahlung nicht nach wirtschaftlichen Kriterien abgewogen. Die Förderung ist keine Bezahlung für die erklärte Leistungsbereitschaft, sondern sie soll als Anreiz zu allererst die innere Bereitschaft auslösen bzw. stärken, sich in Thüringen vertragsärztlich niederzulassen. Ihrer Zweckrichtung nach wirkt die Zahlung in diesem Sinne auf die Willensbildung ein. Damit nimmt der Stipendiat aber noch nicht am wirtschaftlichen Geschäftsverkehr teil.

Hinweis: Auslegung der Fördervereinbarung

Der BFH kann bei einer unzutreffenden Vertragsauslegung durch das FG die Auslegung selbst vornehmen, obwohl die Vertragsauslegung grundsätzlich dem FG als Tatsacheninstanz obliegt. Der BFH legt den Fördervertrag dahin aus, dass die Einmalzahlung keine Gegenleistung für die künftige Tätigkeit und auch nicht für die Erklärung der Bereitschaft zu der künftigen Tätigkeit darstellt (a.A. OFD Frankfurt/Main v. 26.6.2018, DStR 2018, 1719). Der Auslegung des Fördervertrags kommt damit entscheidende Bedeutung zu.

BFH Urteil vom 11.12.2020 - IX R 33/18 (veröffentlicht am 01.04.2021)

Alle am 01.04.2021 veröffentlichten Entscheidungen des BFH.

Schlagworte zum Thema:  Einkommensteuer, Steuerpflicht