Einlagekonto: Keine Anfechtungsbefugnis des Gesellschafters

Der Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft ist nicht befugt, den gegen die Kapitalgesellschaft ergangenen Bescheid über die gesonderte Feststellung des Bestands des steuerlichen Einlagekontos anzufechten.

Hintergrund: Nicht erklärte Einlage in die Kapitalrücklage

Streitig war, ob der Bescheid über die Feststellung des Bestands des steuerlichen Einlagekontos nach § 27 Abs. 2 KStG von einem Gesellschafter angefochten werden kann.

Die (ausländische) X-AG war im Streitjahr 2007 (und ist auch heute noch) Gesellschafterin der A-GmbH mit Sitz im Inland.

Die GmbH gab eine Erklärung zur gesonderten Feststellung des steuerlichen Einlagekontos zum 31.12.2007 ab, in der der Bestand des Einlagekontos mit 0 EUR beziffert wurde. Eine in 2007 in die Kapitalrücklage geleistete Zahlung von rund 800.000 EUR wurde versehentlich nicht berücksichtigt.

Das FA stellte in 2008 den Bestand des steuerlichen Einlagekontos zum 31.12.2007 erklärungsgemäß mit 0 EUR fest. Der Bescheid wurde bestandskräftig.

Erst in 2018 legte die AG Einspruch gegen den Feststellungsbescheid ein und beantragte, die in 2007 geleistete Einlage zusätzlich zu erfassen. Der Einspruch sei nicht verfristet, da der Feststellungsbescheid ihr gegenüber nicht bekanntgegeben worden sei.

Das FA verwarf den Einspruch als unzulässig da ein Drittanfechtungsrecht der AG nicht anzuerkennen sei.

Dem folgte das FG und wies die dagegen gerichtete Klage als unzulässig ab.

Entscheidung: Kein Drittanfechtungsrecht

Der BFH bestätigte die Auffassung des FG und wies die Revision als unbegründet zurück. Der AG steht kein Drittanfechtungsrecht zu. Sie ist nicht befugt, den gegenüber der GmbH ergangenen Feststellungsbescheid anzufechten.

Nur die Kapitalgesellschaft ist Adressatin des Feststellungsbescheids

Der Feststellungsbescheid des § 27 Abs. 2 KStG richtet sich ausschließlich gegen die dort genannte Kapitalgesellschaft (hier die GmbH). Obgleich dem steuerlichen Einlagekonto für die eigene Ertragsbesteuerung der Kapitalgesellschaft keine unmittelbare Bedeutung zukommt, ist sie befugt, gegen den Feststellungsbescheid außergerichtlich und gerichtlich vorzugehen (BFH v. 30.1.2013, I R 35/11, BStBl II 2013 S. 560). Der Feststellungsbescheid entfaltet sodann über § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG materiell-rechtliche Bindungswirkung auch für die Anteilseigner. Danach gehören Bezüge aus Anteilen an einer Körperschaft nicht zu den Einnahmen des Anteilseigners aus Kapitalvermögen, soweit für diese Eigenkapital i.S.v. § 27 KStG als verwendet gilt.

Problem der Drittanfechtung

Die Frage, ob aufgrund der materiell-rechtlichen Tatbestandswirkung des Feststellungsbescheids für die Anteilseigner der Kapitalgesellschaft diesen das Recht zuzugestehen ist, den Feststellungsbescheid anzufechten (Drittanfechtungsrecht), ist umstritten: befürwortend Hessisches FG v. 1.12.2015, 4 K 1355/13, EFG 2016 S. 687; ablehnend FG München v. 28.5.2019, 7 V 803/19, EFG 2020 S. 68.

Der BFH lehnt das Drittanfechtungsrecht ab

Der Anteilseigner ist zwar (wie der Einbringende im Hinblick auf den KSt-Bescheid des aufnehmenden Unternehmens) materiell-rechtlich vom Feststellungsbescheid mittelbar betroffen (BFH v. 7.4.2010, I R 96/08, BStBl II 2011 S. 467). Gleichwohl kann nur die Körperschaft den Feststellungsbescheid vollumfänglich außergerichtlich und gerichtlich überprüfen lassen. Ein eigenes Anfechtungsrecht des Anteilseigners ist daneben nicht notwendig. Das folgt auch nicht aus der Rechtsschutzgarantie. 

Art. 19 Abs. 4 GG gebietet nicht die Zuerkennung eines Drittanfechtungsrechts des Anteilseigners

Im Streitfall liegt ein Rechtsverhältnis miteinander widerstreitenden Interessenlagen vor. In einem solchen Fall sind Einschränkungen in der Rechtsschutzgewährung zulässig (BVerfG v. 23.5.2006, 1 BvR 2530/04, BVerfGE 116 S. 1). Mit der von § 27 Abs. 2 Satz 1 KStG angeordneten gesonderten Feststellung des Bestands des steuerlichen Einlagekontos und der Bindungswirkung für die nächstfolgende Feststellung (§ 27 Abs. 2 Satz 2 KStG) wollte der Gesetzgeber Rechtssicherheit für die betroffenen Steuerpflichtigen und den Fiskus herstellen.

Die Regelung dient insbesondere der Ordnung der steuerlichen Verhältnisse einer Vielzahl von Betroffenen. Die Gesellschafter können in die Tausende gehen. Mit der Zuerkennung eines Drittanfechtungsrechts der (aktuellen wie zukünftigen) Anteilseigner würde jederzeit auch für weit zurückreichende Besteuerungszeiträume die jeweils maßgebliche Höhe des Einlagekontos in Zweifel gezogen werden können. Eine Bekanntgabe des Feststellungsbescheids an die Gesellschafter als denkbare Drittbetroffene würde keine Bestandskraft herbeiführen, da bei größeren Kapitalgesellschaften der Gesellschafterbestand unüberschaubar bzw. die Bekanntgabe an künftige Gesellschafter unmöglich ist. Der Zustand "vollständiger Bestandskraftlosigkeit und Unverjährbarkeit" wäre mit dem Gebot der Rechtssicherheit unvereinbar.

Kein Rechtswegausschluss

In der Konstellation des Streitfalls kommt es nicht zu einem (verfassungswidrigen) Rechtswegausschluss. Denn die Kapitalgesellschaft als Inhaltsadressatin des Feststellungsbescheids hat das volle Anfechtungsrecht, das die von Art. 19 Abs. 4 GG gebotene Kontrolle des Verwaltungshandelns sicherstellt. Wichtig ist dabei, dass Gesellschaft und Gesellschafter gesellschaftsvertraglich miteinander verbunden sind und die Gesellschafter ihre hieraus resultierenden Befugnisse (z.B. Informationsrechte) einsetzen, um die Kapitalgesellschaft zur Einlegung von Einsprüchen bzw. Klagen gegen vermeintlich rechtswidrige Feststellungsbescheide zu veranlassen.

Hinweis: Keine Vergleichbarkeit mit anderen Konstellationen

Die Entscheidung ist an dem Gebot der Praxis orientiert, die Besteuerungsebenen von Kapitalgesellschaft und einem großen Kreis von Anteilseignern möglichst verfahrenssicher und praktikabel aufeinander abzustimmen.

In bestimmten Fällen hat der BFH ein Drittanfechtungsrecht anerkannt, z.B. für den Einbringenden gegen den KSt-Bescheid des aufnehmenden Unternehmens (BFH v. 8.6.2011, I R 79/10, BStBl II 2012 S. 421) oder für den Arbeitnehmer gegen den an den Arbeitgeber gerichteten LSt-Haftungsbescheid (BFH v. 29.6.1973, VI R 311/69, BStBl II 1973 S. 780). Mit diesen Konstellationen ist die Stellung des Anteilseigners in Bezug auf den Feststellungsbescheid nach § 27 Abs. 2 KStG nicht zu vergleichen.  

BFH Urteil vom 21.12.2022 - I R 53/19 (veröffentlicht am 09.03.2023)

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