Einheitsbewertung für Grundsteuer verfassungswidrig

Die derzeit geltenden Regelungen des Bewertungsgesetzes zur Einheitsbewertung von Grundstücken für die Grundsteuer sind seit dem 1.1.2002 mit dem allgemeinen Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar und bis spätestens 31.12.2019 durch eine Neuregelung zu ersetzen. 

Bis zu diesem Zeitpunkt gelten die verfassungswidrigen Normen allerdings weiter fort und dürfen nach Verkündigung der Neuregelung für weitere 5 Jahre, längstens aber bis zum 31.12.2024 angewandt werden.

Hintergrund: Verfassungsbeschwerden und Normenkontrollverfahren wegen bewertungsrechtlicher Regelungen

Die Grundsteuer wird in einem mehrstufigen Verfahren errechnet. Bindende Grundlage ist der Einheitswert, der von den Finanzbehörden für das Grundstück gesondert festgestellt wird. Er wird mit einer gesetzlich festgelegten Steuermesszahl multipliziert. Auf den so berechneten Steuermessbetrag wird schließlich der von der Gemeinde bestimmte Hebesatz angewendet.

Die Einheitswerte für den Grundbesitz werden in den "alten" Bundesländern noch heute auf der Grundlage der Wertverhältnisse zum 1.1.1964 (Hauptfeststellungszeitpunkt) ermittelt. In 2 Verfahren, die der Entscheidung des BVerfG zugrunde liegen, hatten die Kläger in den Finanzgerichtsverfahren erfolglos die Gleichheitswidrigkeit der Einheitsbewertung für die Jahr 2002 bzw. 2006 geltend gemacht. In 3 weiteren Verfahren hatte der BFH die Revisionsverfahren ausgesetzt und dem BVerfG die Frage vorgelegt, ob die Vorschriften des Bewertungsgesetzes (BewG) seit dem Feststellungszeitpunkt 1.1.2008 wegen des Verstoßes gegen allgemeinen Gleichheitsgrundsatz bzw. 1.1.2009 verfassungswidrig sind.

Zur Begründung führte der BFH aus, dass die Einheitsbewertung des Grundvermögens nicht mehr den verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine gleichheitsgerechte Ausgestaltung genüge, weil das jahrzehntelange Unterbleiben einer Wertanpassung an die Wertverhältnisse zum 1.1.1964 dem Gebot der Folgerichtigkeit widerspreche und zu einem weitgehenden Verlust eines einheitlichen, am gemeinen Wert ausgerichteten Bewertungsmaßstabs geführt habe.

BVerfG: Regelungen des BewG verstoßen gegen Gleichheitsgrundsatz

Das BVerfG hat entschieden, dass die Verfassungswidrigkeit der Regelungen über die Einheitsbewertung von Grundvermögen jedenfalls seit dem Beginn des Jahres 2002 – dem in den vorliegenden Verfahren entscheidungserheblichen Zeitpunkt, der am weitesten zurückliegt – aufgrund von Wertverzerrungen feststeht, die durch die Aussetzung neuer Hauptfeststellungen verursacht werden und für die es keine hinreichende Rechtfertigung gibt. Die Grenze hinnehmbarer Ungleichbehandlung sei im Jahr 2002 und damit nahezu 40 Jahre nach dem letzten Hauptfeststellungszeitpunkt überschritten.

Periodische Bewertung des Grundvermögens

Das System der Einheitsbewertung sei davon geprägt, dass in regelmäßigen Zeitabständen eine allgemeine Wertfeststellung (die sog. Hauptfeststellung) stattfinde. Diese Hauptfeststellung solle alle 6 Jahre für bebaute und unbebaute Grundstücke erfolgen. Ziel der Bewertungsregelungen sei es, Einheitswerte zu ermitteln, die dem Verkehrswert der Grundstücke zumindest nahe kommen. Der Verkehrswert sei danach in diesem System die Bezugsgröße, an der sich die Ergebnisse der Einheitsbewertung im Hinblick auf Art und Umfang etwaiger Abweichungen zur Beurteilung einer gleichheitsgerechten Besteuerung messen lassen müssen.

Die im Gesetz vorgesehene periodische Wiederholung der Hauptfeststellung sei zentral für das vom Gesetzgeber selbst so gestaltete Bewertungssystem. Ihm liege der Gedanke zugrunde, dass die den Verkehrswert der Grundstücke bestimmenden Verhältnisse einheitlich zum Zeitpunkt der Hauptfeststellung möglichst realitätsnah abgebildet werden. Da diese Verhältnisse während der folgenden Jahre eines Hauptfeststellungszeitraums typischerweise verkehrswertrelevanten Veränderungen unterlägen, bedürfe es in regelmäßigen und nicht zu weit auseinander liegenden Abständen einer neuen Hauptfeststellung.

Aussetzung der Hauptfeststellungen nicht hinnehmbar

Je länger ein Hauptfeststellungszeitraum über die ursprünglich vorgesehenen 6 Jahre hinaus andauere, desto größer im Einzelfall und umfangreicher in der Gesamtzahl würden zwangsläufig die Abweichungen zwischen dem tatsächlichen Verkehrswert und den auf den Hauptfeststellungszeitpunkt bezogenen Einheitswerten der Grundstücke. Die seit 1964 andauernde Aussetzung der erforderlichen Hauptfeststellung führe daher in zunehmendem Maße zur Wertverzerrungen innerhalb des Bereichs bebauter und unbebauter Grundstücke.

Zwar sei eine Auseinanderentwicklung zwischen Verkehrswert und festgestelltem Einheitswert für sich genommen verfassungsrechtlich nicht bedenklich. Würden die Einheitswerte in allen Fällen gleichmäßig hinter steigenden Verkehrswerten zurückbleiben, führte dies allein zu keiner verfassungsrechtlich relevanten Ungleichbehandlung, da das Niveau der Einheitswerte untereinander in Relation zum Verkehrswert gleich bliebe. Es gebe allerdings keine Anhaltspunkte dafür, dass sich die durch den Verzicht auf die regelmäßigen Hauptfeststellungen zwangsläufig zunehmenden Wertverzerrungen in einer gleichmäßigen Relation zum Verkehrswert bewegten.

Verwaltungsaufwand und geringe Höhe einer Steuer unbeachtlich

Ermöglichten Bewertungsregelungen ganz generell keine in ihrer Relation realitätsnahe Bewertung, rechtfertige selbst die Vermeidung eines noch so hohen Verwaltungsaufwands nicht ihre Verwendung. Auch die geringe Höhe einer Steuer rechtfertige die Verwendung solcher realitätsfernen Bewertungsregeln nicht.

Gesetzgeber muss Neuregelungen schaffen

Das BVerfG hat allerdings aus besonderem Grund, nämlich im Interesse einer verlässlichen Finanz- und Haushaltsplanung und eines gleichmäßigen Verwaltungsvollzugs für Zeiträume weitgehend schon abgeschlossener Veranlagungen, die Fortgeltung der beanstandeten Regelungen zur Einheitsbewertung (für die Vergangenheit) zugelassen. Für die Zukunft hat es die Fortgeltung der beanstandeten Regelungen in 2 Stufen wie folgt angeordnet:

  • Die beanstandeten Regelungen sind in die Zukunft gerichtet zunächst bis zum Ergehen einer Neuregelung, längstens jedoch bis zum 31.12.2019 anzuwenden.
  • Die Anwendung der als unvereinbar mit Art. 3 Abs. 1 GG festgestellten Bestimmungen der Einheitsbewertung ist schließlich, sobald der Gesetzgeber ei-ne Neuregelung getroffen hat, für weitere 5 Jahre nach Verkündung der Neuregelung, längstens aber bis 31.12.2024, zulässig.

Diese nach Dauer und Struktur ungewöhnliche Fortgeltungsanordnung ist nach Auffassung des BVerfG durch die besonderen Sachgesetzlichkeiten der Grund-steuer geboten und von daher ausnahmsweise gerechtfertigt.

Hinweis: Unvereinbarkeit betrifft (nur) bebaute Grundstücke in den "alten" Ländern

Die dem BVerfG durch den BFH zur Überprüfung vorgelegten Normen betrafen die Bewertungsregeln für bebaute Grundstücke außerhalb des in Art. 3 des Einigungsvertrags genannten Gebiets und damit in den "alten" Ländern. Das BVerfG hat die Normenkontrolle nicht auf die Bestimmungen zur Bewertung des land- und forst-wirtschaftlichen Vermögens (§§ 33 – 62 BewG) und zur Bewertung von Grundvermögen in den "neuen" Bundesländern (§§ 125 ff. BewG) erstreckt. Für beide Bereiche gelten besondere Bewertungsregeln, die auf die Frage nach ihrer Vereinbarkeit mit Art. 3 Abs. 1 GG eine eigenständige verfassungsrechtliche Würdigung erforder-lich machen. Dies schließt  - so das BVerfG – (allerdings) nicht aus, die für die Entscheidung maßgeblichen Gesichtspunkte auf die Beurteilung dieser Vorschriften zu übertragen.

Ausblick: Führt eine Neuregelung zu Mehrbelastungen?

In den letzten zwanzig Jahren wurden bereits verschiedene Modelle zur Grundsteuerreform diskutiert. Jedoch fehlte bislang jedem Modell eine klare Mehrheit, bis in der vergangenen Legislaturperiode mit Unterstützung einer großen Mehrheit der Länder mit dem Kostenwertmodell ein konkreter Gesetzentwurf zur Neuregelung der Bewertung des Grundbesitzes in den Bundesrat eingebracht worden ist. Dieser Gesetzentwurf ist allerdings der Diskontinuität des Bundestages zum Opfer gefallen.

Dem Vernehmen nach soll die vom BVerfG eingeforderte Neuregelung – wie sie auch im Einzelnen ausfallen mag – aufkommensneutral konzipiert werden. Aufkommensneutralität bedeutet aber nicht Belastungsgleichheit im Einzelfall. Die Grundsteuerreform wird zwangsläufig zur Umverteilung der Steuerlasten führen. Die Frage, ob dies für den Einzelnen zu Mehr- oder Minderbelastungen bei der Grundsteuer führt, lässt sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht zuverlässig beantworten

BVerfG, Urteil v. 10.4.2018, 1 BvL 11/14, 1 BvL 12/14, 1 BvL 1/15, 1 BvR 639/11, 1 BvR 889/12, veröffentlicht am 10.4.2018.

Pressemeldung v. 10.4.2018.


Schlagworte zum Thema:  Grundsteuer, Bewertungsgesetz