Zeitpunkt des rückwirkenden Ereignisses beim Realsplitting

Ein Steuerbescheid ist zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern, soweit ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat. Die Festsetzungsfrist beginnt mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem das rückwirkende Ereignis eintritt.

Dies ergibt sich aus § 175 Abs. 1 AO. Im Rahmen des Realsplittings (§§ 22 Nr. 1a und § 10 Abs. 1a Nr. 1 EStG) stellt sich die Frage, ob die Zustimmung des Unterhaltsempfängers oder erst die tatsächliche Berücksichtigung der Sonderausgaben beim Geber das rückwirkende Ereignis darstellt. 

Beispiel: Klagefall vor dem FG Sachsen-Anhalt

Am 17.7.2008 ging beim Finanzamt die Einkommensteuererklärung 2007 von A ein, welche seit dem 20.9.2007 geschieden ist. Die Einzelveranlagung erfolgte erklärungsgemäß im September 2008. 

A und ihrer früherer Ehemann haben sich im Rahmen ihres Scheidungstermins dahingehend verglichen, dass dieser ihr binnen 8 Wochen ab Rechtskraft der Scheidung 10.000 EUR zahlt. Die Anlage U für Unterhaltsleistungen an den geschiedenen oder dauernd getrennt lebenden Ehegatten zur Einkommensteuererklärung für 2007 wurde von A und ihrem früheren Ehemann am 10.2.2010 unterzeichnet und ging bei dem für die Veranlagung des früheren Ehemanns zuständigen Bearbeiters am 12.2.2010. Daraufhin war aber wegen der Frage, ob die Berücksichtigung als Sonderausgaben in Betracht kommt, ein Rechtsbehelf anhängig, sodass erst am 15.9.2015 – im Rahmen eines Änderungsbescheides - eine Berücksichtigung als Sonderausgabe erfolgte.

Diesen Vorgang nahm das Finanzamt von A zum Anlass, am 26.11.2015 einen auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO gestützten Änderungsbescheid für 2007 zu erlassen und die erhaltenen Einkünfte als Unterhaltsleistungen nach § 22 Nr. 1a EStG zu besteuern. Hiergegen legte A Einspruch mit der Begründung ein, dass die Festsetzungsfrist abgelaufen sei, weil die Zustimmung des Unterhaltsempfängers (am 10.2.2010) ein rückwirkendes Ereignis darstelle. Demnach habe die Festsetzungsfrist mit Ablauf des 31.12.2010 begonnen, mit der Folge, dass am 31.12.2014 Festsetzungsverjährung eingetreten ist.

Das Finanzamt war der Auffassung, dass das gesetzlich in §§ 22 Nr. 1a und § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG (jetzt § 10 Abs. 1a Nr. 1 EStG) festgelegte Korrespondenzprinzip dahingehend zu verstehen sei, dass sonstige Einkünfte beim Empfänger der Unterhaltsleistungen nur dann und nur in der Höhe zu berücksichtigen sind, in welcher Unterhaltsleistungen beim Geber tatsächlich als Sonderausgaben erfasst wurden. Erst die tatsächliche Berücksichtigung der Sonderausgaben beim früheren Ehemann (in 2015) habe Wirkung für die Vergangenheit entfaltet.

FG Sachsen-Anhalt bestätigt Auffassung des Finanzamts

Das FG Sachsen-Anhalt (Urteil v. 7.3.2019, 1 K 508/16, haufe Index HI13007156) ist der Auffassung des Finanzamts gefolgt. Unterhaltszahlungen an den getrennt lebenden bzw. geschiedenen Ehegatten, hinsichtlich deren einkommensteuerrechtlicher Behandlung Realsplittung vereinbart worden ist, würden erst dann zu einkommensteuerrechtlich relevanten Einnahmen beim Empfänger, wenn die Beträge beim Geber unter Vorlage der Anlage U als Sonderausgabe geltend gemacht und bei dessen Einkommensteuer-Veranlagung auch einkommensteuermindernd berücksichtigt worden sind. Sie dürften frühestens zu diesem Zeitpunkt bei der Einkommensteuer-Veranlagung des Empfängers als sonstige Einkünfte angesetzt werden. Ist der Empfänger zu diesem Zeitpunkt bereits bestandskräftig zur Einkommensteuer veranlagt, so sei dessen Einkommensteuer-Veranlagung nach § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO zu ändern. Das FG folgt insoweit der übrigen finanzgerichtlichen Rechtsprechung (FG Hamburg, Urteil v. 13.6.1995, III 170/93, Haufe Index 1113287, FG Münster v. 12.4.2000, 8 K 3157/96 E). 

Sonderausgabenabzug beim Geber und die Steuerpflicht beim Empfänger 

Bei der Einführung des sogenannten "Realsplittings" sei der Gesetzgeber davon ausgegangen, dass der Sonderausgabenabzug beim Geber und die Steuerpflicht beim Empfänger miteinander korrespondieren. Die Steuerpflicht der Unterhaltsleistungen knüpft danach nicht an die abstrakte Möglichkeit der Abziehbarkeit der Unterhaltsleistungen an. Sie setze vielmehr voraus, dass alle Voraussetzungen für eine Abziehbarkeit erfüllt sein müssen (tatsächliche Unterhaltsleistungen und Antrag des Gebers auf Berücksichtigung der Zahlungen als Sonderausgaben sowie die Zustimmung des Empfängers zur Berücksichtigung der Zahlungen als Sonderausgaben beim Geber). Nur soweit der Geber in dem vom Gesetzgeber vorgegebenen Rahmen einen Antrag auf Berücksichtigung der Zahlungen als Sonderausgaben stellt und diese tatsächlich auch als Sonderausgaben berücksichtigt werden und zu einer Minderung in der Einkommensteuer beim Geber führen bzw. führen können, seien die Zahlungen als sonstige Einkünfte beim Empfänger zu berücksichtigen. Dies bedeute, dass allein aufgrund von Angaben des Empfängers sonstige Einkünfte solange noch nicht zu berücksichtigen sind, als bei der Veranlagung zur Einkommensteuer des Gebers Unterhaltsleistungen als Sonderausgaben noch nicht angesetzt worden sind. 

Folglich geht das FG davon aus, dass erst die steuerliche Berücksichtigung als Sonderausgabe (in 2015) das rückwirkende Ereignis darstellt, sodass die Festsetzungsfrist nicht vor dem 31.12.2019 endet. 

Revisionsverfahren anhängig

Gegen die Entscheidung des FG Sachsen-Anhalt läuft ein Revisionsverfahren vor dem BFH (Az X R 15/19). Vergleichbare Fälle können offen gehalten werden, bis der BFH entschieden hat.

Schlagworte zum Thema:  Abgabenordnung, Unterhalt, Unterhaltspflicht