Steuerberater als Krisenmanager

"Ungewissheit ist gerade die Bedingung, die den Menschen zur Entfaltung seiner Kräfte zwingt", schrieb Erich Fromm. Unser Krisen-Aktionsplan für Unternehmen hilft, die Lage zu sondieren, fundiert und schnell Entscheidungen zur Krisenbewältigung abzuleiten und so die Kräfte fokussiert einzusetzen. Zwölf konkrete Schritte helfen Unternehmen, handlungsfähig zu bleiben.

Punkt 1 – Bestandsaufnahme und Risiko-Check

In jeder schwierigen Situation ist es wichtig, schonungslos Bilanz zu ziehen und herauszufinden, wo man aktuell steht. Die Erfolgskriterien für Unternehmen sind allgemein bekannt und können über verschiedene Fragebögen und Tests ermittelt werden, etwa über die EFQM-Methodik (von der European Foundation for Quality Management entwickeltes Qualitätsmanagement-System). Die gemessenen Bereiche sind eher im "weichen" Bereich der nicht sofort messbaren Faktoren angesiedelt. Es erfolgt eine subjektive Einschätzung der erfolgsrelevanten Faktoren.

Interessante Ergebnisse erhält man im Abgleich zwischen der Einschätzung der Firmenleitung und der befragten Mitarbeiter. Hier ergibt sich oftmals Klärungsbedarf, warum unterschiedliche Sichtweisen auf ein und dieselbe Frage vorhanden sind. Das Ergebnis der Bestandsaufnahme kann in eine SWOT-Analyse münden.

Punkt 2 – Aktualität der Zahlen

Harte Faktoren wie etwa Bilanzkennzahlen und Stand des Bankenratings bilden den Vergleichsmaßstab für das aktuelle Jahr und den tagesaktuellen Stand der Zahlen aus der Buchhaltung, dem Mahnwesen und die aktuellen Auftragsstände. In Krisenzeiten ist es das Gebot der Stunde, eine zeitnahe Auswertung aller relevanten Zahlen, Daten und Fakten zu organisieren. Es reicht keinesfalls, die Buchhaltung 40 Tage nach Monatsschluss zu erledigen und auch die offenen Rechnungen gehören mindestens wöchentlich überwacht.

Auch für Unternehmen, die ihre Buchhaltung extern durch Steuerberater und Buchführungsservice bearbeiten lassen, ist die zeitnahe Buchhaltung/Wochenbuchhaltung Pflicht und in modernen Kanzleien längst etablierte Arbeitsweise. Wer in der Vergangenheit bisher keine aussagefähige Kostenrechnung im Unternehmen hatte, tut gut daran, diese im Unternehmen zu etablieren. Die Kostenrechnung kann über die Buchhaltung relativ einfach mit erstellt werden. Der Aufwand ist eher begrenzt, der Nutzen aber besonders hoch.

Punkt 3 – Cash ist King: Liquiditätsmanagement

Cash ist der Sauerstoff für das Wachstum und die Stabilität eines Unternehmens. Das Management von Zahlungsmitteln hat in unsicheren Zeiten oberste Priorität. Die alte Formel "Liquidität vor Rentabilität" hat heute noch größere Bedeutung als in der Vergangenheit. Auch die Signalwirkung auf Kunden, Lieferanten, Mitarbeiter und Kreditgeber muss bedacht werden. Vertrauen in die Solidität des Unternehmens braucht es gerade in schwierigen Zeiten.

Wie viel Finanzmittelreserve benötigt aber nun ein Unternehmen? Grundsätze sollten ein bis zwei Monate Barliquidität ausreichen, um für diesen Zeitraum alle anfallenden Kosten zu decken, wenn parallel keinerlei Einnahmen mehr entstehen. Es empfiehlt sich in jedem Fall, hierfür eine neue Kennzahl zu tracken: Wie viele Tage reichen die Barmittel des Unternehmens, um die anfallenden Kosten zu decken?

Punkt 4 – Sorge gut für dein Team

Menschen sind der wichtigste Erfolgsbestandteil von Unternehmen. Halten Sie die Kommunikation im Unternehmen lebendig und bleiben Sie mit den Mitarbeitern auch über räumliche Distanz im Gespräch. Ihre Mitarbeiter brauchen Vertrauen in die wirtschaftliche Stärke und Wandlungsfähigkeit ihres Arbeitgebers. Es ist eine Chance, die Mannschaft werteorientiert auf ein gemeinsames Commitment zu verpflichten. Versuchen Sie, die bisher bestehende Firmenkultur weiter hochzuhalten und fortzuentwickeln. Seien Sie transparent und berechenbar für Ihr Team und kümmern Sie sich in dieser Ausnahmezeit ganz besonders um das Wohlergehen der Mitarbeiter und ihrer Familien.

In Krisenzeiten sind die Tugenden guter Führungskräfte besonders gefragt. Sie sollten aus Betroffenen Beteiligte machen und für die Einhaltung von Vereinbarungen und Standards sowie der Zielvereinbarung und Ergebnisfokussierung sorgen und so alles tun, um Mitarbeiter vor Ziellosigkeit und Verunsicherung zu bewahren. Überlegen Sie sich Aufgaben- und Rollenverteilungen. Die internen Reportings können dabei als Führungsinformationstool unterstützen. Gehen Sie mit gutem Beispiel voran, um die Situation zu meistern. Bedanken Sie sich bei Ihren Mitarbeitern für Arbeitsmoral und gute Leistungen. Gerade jetzt braucht es sehr viel Anerkennung und Wertschätzung durch die Führungskräfte – wohl wissend, dass diese derzeit einen besonders schwierigen Job haben.

Punkt 5 –Kunden, Lieferanten und Banken im Fokus

Das Vertrauen, dass Ihre Kunden in Sie setzen, gilt meist der langfristigen Zusammenarbeit und damit Ihrer finanziellen Stabilität. Sollten Ihre Geschäftspartner den Eindruck haben, dass Ihr Unternehmen angeschlagen ist, gehen Kundenaufträge und Bestellungen sehr schnell zurück. In unruhigen Zeiten wechseln auch gern einmal Hauptkunden zur Konkurrenz. Vorsicht ist also geboten. Hier schafft die ABC-Analyse einen Überblick über die besten Kunden, denen Sie sich mit dem Fokus auf mehr Kundenbindung widmen können. Gerade in der Krise kann sich die besondere Service- und Leidenschaftskultur eines Unternehmens zeigen. Die Kundenakquise kann sogar durch das Versagen anderer Marktteilnehmer begünstigt werden. Mein Plädoyer ist daher: Mehr für Kundenaufmerksamkeit und Vertrieb tun als vorher – wenn es die Branche erlaubt.

Auch Lieferanten haben jetzt einen besonderen Stellenwert für Unternehmen. Sie sollten weiterhin zuverlässig die bezogenen Waren und Dienstleistungen pünktlich und vollständig bezahlt bekommen.

Das Bilanzrating und der Risiko-Score der Banken geben Auskunft über die Einstufung des Kunden hinsichtlich Kreditwürdigkeit und Zahlungsfähigkeit. Die Kapitaldienstgrenze der Unternehmen stellt von jeher einen wichtigen Indikator für mögliche Kreditrahmen dar. Bei Verschlechterung der Zahlungsfähigkeit kann es passieren, dass auch die Bank ihr Engagement überdenkt und die gegebenen Sicherheiten neu bewertet. Fatal wäre es, wenn die Kreditgeber ihre Kontokorrentlinien widerrufen und damit den Liquiditätsengpass erhöhen.

Punkt 6 –Einsparpotenziale

Die Vertrags- und Kostensituation sollte von allen Unternehmen in den Fokus genommen werden. Erstellen Sie anhand der eigenen Kosten im Mehrjahresvergleich eine Ist-Analyse. Zur einfachen Analyse der einzelnen Bereiche empfiehlt es sich, die Buchführung der letzten zwei oder drei Jahre zu nehmen und die einzelnen Sachkonten zu prüfen. Ein weiterer wichtiger Schwerpunkt ist das Vertragscontrolling. Haben Sie im Unternehmen eine Aufstellung über alle Verträge mit Laufzeiten und Kündigungsterminen? Gibt es Übersichten über Versicherungen und deren Leistungsinhalte? Liegt eine aktuelle Fuhrparkliste mit Detailangaben zu Verträgen und Nutzern vor? Gibt es Übersichten über Firmenhandys sowie Zeitschriften- und Software-Abonnements? Wenn nicht, dann sollte damit noch heute begonnen werden. Es lohnt sich. Und zwar nicht nur in Krisenzeiten.

Punkt 7 –Unternehmenszahlen und Simulationen

Bei der Ermittlung der aktuellen Zahlen sollte der Fokus auf gut lesbare und verständliche Informationsbereitstellung gelegt werden. Es empfiehlt sich, die Liquiditätsströme der letzten sechs Monate zu analysieren. Dabei sollte die dynamische Cashflow-Rechnung herangezogen werden. Weiter gilt es zu prüfen, ob und in welcher Höhe noch nicht ausgeschöpfte Kredit-/Kontokorrentlinien bei der Bank bestehen. Gibt es Möglichkeiten der Gesellschaftereinlage von Geldern? Der wichtigste Faktor in Krisenzeiten ist die Zahlungsfähigkeit und die Flexibilität des Unternehmens hinsichtlich des Handlungsrahmens.

Simulieren Sie einen Stresstest: Was passiert, wenn ein Umsatzrückgang von X % zu verkraften ist? Wie hoch muss der kostendeckende Stundensatz bei den Fertigungslöhnen sein? Welche Auswirkungen hat eine Preiserhöhung meiner Lieferanten auf das eigene Unternehmen? Aus dieser Simulation werden Sie wichtige neue Erkenntnisse ziehen, was Pricing und Verhandlungen im Einkauf und Absatz anbelangt.

Punkt 8 – Reporting aufbauen

Controlling sagt Ihnen in ungewissen Zeiten mit absoluter Sicherheit, wo sie gerade stehen und ob die notwendigen Ziele erreicht werden. Damit ist viel getan, um krisenfester in die Zukunft blicken zu können. Zugegeben: Garantien für die Zukunft lassen sich aus dem Controlling der Vergangenheit nicht geben. Aber zumindest ist man auf unterschiedliche Eventualitäten bestmöglich vorbereitet. So, wie Sie ihre betrieblichen Kennzahlen regelmäßig im Blick behalten sollten, ist auch ein umfassender Überblick über die Abläufe und Kernprozesse im Unternehmen wichtig. Hier kann ein monatliches Berichtswesen für die jeweiligen Verantwortungsbereiche helfen. Vordefinierte Fragen zu den wichtigsten Geschäfts- und Entwicklungsbereichen werden durch die Abteilungsleiter/Teamleiter monatlich beantwortet und gewährleisten so eine stetige Fokussierung auf relevante Themen.

Mit Hilfe dieses Reportings lässt sich auch die Erreichung der gesteckten Ziele kontrollieren. Es ermöglicht rechtzeitige Gegenmaßnahmen und dient als Gesprächsgrundlage für die Termine der Führungsebene. Dabei sollten Monatsberichte alle wichtigen Themen von klassischen Umsatz- oder Kostenzielen über Qualitätssicherung, Mitarbeiter- und Kundenthemen bis hin zu Prozessorganisation und Jahreszielplanung beinhalten. Unternehmen, die eine Balanced Scorecard implementiert haben, sollten diese auch zum Gegenstand des Reportings machen.

Punkt 9 – Zielplanung auf Quartalsebene

Ein gutes Reporting ist dennoch nur die halbe Miete, weil wir damit "nur" die Vergangenheit analysieren. Der Blick in die Zukunft fehlt. Hier kommt der Wochen- und Quartalsplanung eine besondere Wirkungskraft zu. Mit ihrer Hilfe stehen Überblick, Orientierung und auch eine angepasste Ergebniserreichung immer im Fokus. Dabei kommt es darauf an, den Status quo des Unternehmens mittels relevanter Analysen und Kennzahlen zu reflektieren und das Krisenmanagement, neue Projekte, wichtige Vorhaben und Prioritäten fest in der Agenda zu verankern. Hilfreich dabei kann ein (externer) Sparringspartner sein. Elementar hilfreich ist es, mindestens vierteljährlich einen Zielabgleich zu relevanten Themenfeldern der selbst ausgewählten Zielsetzungen vorzunehmen.

Ob regelmäßige Mitarbeiter-Informationen mit Auswertung der eigenen Zahlen bereits gelebte Praxis sind oder das regelmäßige Review-Meeting mit der unternehmenseigenen Buchhaltung – wichtig ist, einen Termin zu haben und diesen einzuhalten. Nur wenn man den eigenen Zahlen Aufmerksamkeit schenkt, können sich Dinge verbessern und verändern. Selbstbestimmung im unternehmerischen Handeln mündet in gute Betriebsergebnisse und solide Bilanzen. Dafür braucht es allerdings Zeit, Raum und Durchhaltevermögen.

Punkt 10 – Unternehmens- und Finanzplan

In der Feinplanung werden Zahlen, Daten und Fakten aus den Vorjahren des Unternehmens mit dem Blick nach vorn verknüpft. Eine detaillierte Planungsrechnung erfolgt auf Grundlage von Vergangenheitswerten unter Beachtung der bereits bekannten Veränderungen des kommenden Geschäftsjahres sowie der Fortschreibung der Erlöse und Kosten. Trotz vieler Unsicherheiten sollten Sie eine Sechs-Monats-Planungsrechnung erstellen und Monat für Monat erneuern.

Skeptiker finden, dass Pläne nur den Zufall durch Irrtum ersetzen. Dennoch ist ein Plan (am besten mit Worstcase-, Bestcase- und Realcase-Szenarien) das beste Mittel zur Verteidigung und Findung einer Strategie. Auch mit recht einfachen Berechnungen gewinnen Sie schnell Überblick und können Entscheidungen treffen. Planungsrechnungen per se sind eher eine betriebswirtschaftliche Trockenübung. Kraft bekommen diese Berechnungen immer dann, wenn das Unternehmen Soll/Ist-Abgleiche vornimmt und eine Ertragshochrechnung auf Basis der Ist-Monate zuzüglich der noch offenen Planmonate erstellt. Dies sollten besonders Unternehmen mit einer dünnen Kapitaldecke tun.

Punkt 11 –Maßnahmen, Mitarbeitervereinbarungen und Umsetzungspläne

Wenn die einzelnen Punkte, deren Veränderung man anstoßen will, und die Unternehmensplanung klar sind, sollte terminiert und priorisiert abgearbeitet werden. Welche Maßnahmen sind von wem zu erledigen? Was können einzelne Mitarbeiter oder Abteilungen tun, um die angestrebten Ergebnisse und Veränderungen zu bewirken? Führungskräfte sollten sich die notwendige Zeit für eine Ziel- und Umsetzungsplanung nehmen und sich regelmäßig einige Fragen hinsichtlich Verbesserung und notwendiger Veränderungen stellen. Nur wenn ambitionierte und zugleich auch realistische Ziele vorgegeben sind, behält man als Unternehmen den Vorsprung am Markt und die eigene Konkurrenzfähigkeit.

Punkt 12 – Umsetzung und Follow-up

Bei allen Planungsroutinen ist das Gebot der Schriftlichkeit und Transparenz zu beachten. Wer seine Ziele und Entscheidungen schriftlich fixiert, ist um einiges erfolgreicher als diejenigen, deren Ziele nur in den Köpfen der Chefs existieren. Eine gemeinsame Ergebnisfokussierung setzt Synergien und Teamkräfte frei. Der Sinn jeder Unternehmensplanung besteht in der Umsetzungskontrolle der selbst gesteckten Ziele. Dabei ist erwiesen, dass man selbst gesetzte Ziele zuverlässiger erreicht, wenn Zielklarheit besteht und die einzelnen Bereiche des Unternehmens schriftlich geplant sind: Umsatz, Sachkosten, Personal, Aufträge usw. Das gilt ganz besonders in der Depression in Verbindung mit kürzeren Planungshorizonten.

Zu den wirksamen Instrumenten, mit denen Unternehmensführung praktikabel gelingen kann, gehört zwingend ein gutes Controlling mit relevanten Chef- und Mitarbeiter-Informationen. Durch Planung wird die Wahrscheinlichkeit der Zielerreichung erhöht, und wenn es gelingt, Entwicklungen und Ergebnisse transparent zu machen, wird Buchhaltung zum wahren Schatz für alle Beteiligten.

Autorin: Ines Scholz, Dipl.-Kauffrau (FH), ist Steuerberaterin in eigener Kanzlei in Zwickau und Fachberaterin für Unternehmensnachfolge (DStV). Sie ist außerdem als Wirtschaftsmediatorin und Aufsichtsratsmitglied tätig. Der Beitrag entstammt dem bei Schäffer-Poeschel erschienenen Buch Scholz/Klumpp/Köchy-Gellfart/Liese/Terwersche, Der Steuerberater als Krisenmanager