Praxis-Tipp: Körperschaftsteuerpflicht von Streubesitzdividenden

Beteiligungserträge in Form von Gewinnausschüttungen sind bei inländischen Kapitalgesellschaften voll körperschaftsteuerpflichtig, wenn die zufließenden Dividenden aus Streubesitzbeteiligungen (unmittelbare Beteiligung unter 10%) herrühren (§ 8b Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 Satz 1 KStG). Gilt dies auch, wenn unterjährig mehrere Erwerbe jeweils unter der 10%-Grenze erfolgen, die gleichwohl in der Summe mindestens 10% ausmachen?

Beteiligungserträge in Form von Gewinnausschüttungen bleiben bei inländischen Kapitalgesellschaften bei der Ermittlung des Einkommens außer Ansatz, sofern diese Bezüge das Einkommen der ausschüttenden Beteiligungsgesellschaft nicht gemindert haben (§ 8b Abs. 1 Satz 1 und 2 KStG). Von den Bezügen, die nach § 8b Abs. 1 Satz 1 KStG bei der Ermittlung des Einkommens außer Ansatz bleiben, gelten 5% als Ausgaben, die nicht als Betriebsausgaben abgezogen werden dürfen (§ 8b Abs. 5 Satz 1 KStG), weshalb die Bezüge im Ergebnis nur zu 95% von der Körperschaftsteuer befreit sind.

Bei § 8b Abs. 1 KStG handelt es sich um eine Einkommensermittlungsvorschrift. Die im handels- bzw. steuerbilanziellen Jahresüberschuss enthaltenen Bezüge i.S.d. § 8b Abs. 1 KStG werden daher bei der Ermittlung des körperschaftsteuerlichen Einkommens der Empfänger-Körperschaft außerhalb der Steuerbilanz gekürzt.

Ausnahme: Steuerpflicht von Bezügen aus Streubesitz

Die Vorschrift des § 8b Abs. 4 Satz 1 KStG ordnet die volle Körperschaftsteuerpflicht für Bezüge i.S.d. § 8b Abs. 1 Satz 1 KStG an, z.B. für Gewinnausschüttungen einer GmbH, wenn diese aus einer Beteiligung stammen, die zu Beginn des Kalenderjahrs weniger als 10% des Grund- oder Stammkapitals betragen hat (sog. Streubesitz). Rechtsfolge ist, dass die Steuerbefreiung des § 8b Abs. 1 Satz 1 KStG für Streubesitzdividenden nicht zur Anwendung kommt. Die Bezüge unterliegen der vollen Körperschaftsteuerpflicht. Zu einer zusätzlichen außerbilanziellen Hinzurechnung von 5% nicht abzugsfähigen Betriebsausgaben nach § 8b Abs. 5 KStG (sog. Schachtelstrafe) kommt es nicht, wenn es sich um steuerpflichtige Streubesitzdividenden handelt (§ 8b Abs. 4 Satz 7 KStG).

Rückwirkungsfiktion bei unterjährigem Beteiligungserwerb

Bei unterjährigem Erwerb einer Beteiligung von mindestens 10% gilt nach § 10 Abs. 4 Satz 6 KStG der Erwerb als zu Beginn des Kalenderjahrs erfolgt (Rückwirkungsfiktion). Sehr umstritten ist, ob bei unterjährigem Erwerb tatsächlich einmal eine mindestens 10%ige Beteiligung erworben werden muss oder ob der Erwerb auch dann auf den Beginn des Veranlagungszeitraums fingiert wird, wenn mehrere (Hinzu-)Erwerbe jeweils unterhalb der 10%-Grenze erfolgen, die gleichwohl in toto mindestens 10 % ausmachen.

Verwaltungsauffassung

Nach Auffassung der Finanzverwaltung können die unterjährig von verschiedenen Veräußerern erworbenen gesellschaftsrechtlichen Beteiligungen, die für sich genommen jeweils nicht die Beteiligungsschwelle von 10%, aber in der Summe doch die 10% erreichen, nicht die Anwendung von § 8b Abs. 4 Satz 6 KStG begründen (OFD Frankfurt, Verfügung v. 2.12.2013, DStR 2014 S. 427).

Urteil des Hessischen FG

Das Hessische FG ist anderer Auffassung und hat entschieden, dass die Rückwirkungsfiktion des § 8b Abs. 4 Satz 6 KStG bereits dann eintritt, wenn zu irgendeinem Zeitpunkt im Laufe des Kalenderjahrs eine Beteiligungshöhe von mindestens 10% erreicht wurde (Urteil v. 15.3.2021, 6 K 1163/17, EFG 2021 S. 1225). Die 10 %-ige Beteiligungsschwelle kann danach auch durch mehrere unterjährige Erwerbsvorgänge erreicht werden. Deshalb fallen unter den „Erwerb einer Beteiligung“ i. S. des § 8 Abs. 4 Satz 6 KStG mit dem Ergebnis einer prozentualen Beteiligungshöhe von mindestens 10% alle zivilrechtlichen Vorgänge, die im Laufe des Kalenderjahrs zur Entstehung der Beteiligungshöhe beigetragen haben.

Nach dieser Rechtsauffassung wirkt sich die Rückwirkungsfiktion derart aus, dass die Rechtsfolge des § 8b Abs. 4 Satz 6 KStG auch dann eintritt, wenn zu irgendeinem Zeitpunkt im Laufe des Kalenderjahrs durch mehrere Erwerbsvorgänge eine Beteiligungshöhe von mindestens 10% erreicht wurde. Dies hat im Ergebnis zur Folge, dass für das gesamte Erwerbsjahr kein Streubesitz vorliegt und die gesamte im Erwerbsjahr empfangene Dividende wegen § 8b Abs. 1 i.V.m. Abs. 5 KStG im Ergebnis zu 95% steuerfrei bezogen wird.

Hinweis: Revision anhängig

Gegen die Entscheidung des Hessischen FG wurde die zugelassene Revision eingelegt (Az. des BFH: I R 16/21). Vergleichbare Fälle sollten durch Einspruch offengehalten werden sollten, bis der BFH über die Streitfrage entschieden hat.