Erste Tätigkeitsstätte bei Entsendung ins Ausland

Werden Arbeitnehmer von ihrem Arbeitgeber befristet an ein verbundenes Unternehmen entsandt, stellt sich die Frage, ob beim aufnehmenden Unternehmen eine erste Tätigkeitsstätte vorliegt. 

Rechtslage bis 31.12.2013

Der BFH hatte mit Urteil vom 10.4.2014, VI R 11/13 (Haufe Index 7012941) entschieden, dass ein Arbeitnehmer, der zunächst für drei Jahre zu einer Tochtergesellschaft ins Ausland entsandt worden ist, dort auch dann keine regelmäßige Arbeitsstätte begründet, wenn er mit dem ausländischen Unternehmen für die Dauer des Entsendungszeitraums einen eigenständigen unbefristeten Arbeitsvertrag abgeschlossen hat.

Begründung: Der Arbeitnehmer wird aufgrund der Befristung des Auslandseinsatzes in der Entsendevereinbarung und dem Fortbestehen seines - wenn auch ruhenden - inländischen Arbeitsverhältnisses bei der ausländischen Tochtergesellschaft nicht dauerhaft, sondern nur vorübergehend tätig.

Reisekostenreform ab 2014

Ab 2014 wurde aber gesetzlich geregelt, unter welchen Voraussetzungen die für das Vorliegen einer ersten Tätigkeitsstätte erforderliche dauerhafte Zuordnung zu einer ortsfesten betrieblichen Einrichtung durch den Arbeitgeber bzw. eine dauerhafte Tätigkeit an einer ortsfesten betrieblichen Einrichtung gegeben ist. Nach § 9 Abs. 4 Satz 3 EStG ist insbesondere dann davon auszugehen, dass eine vom Arbeitgeber vorgenommene Zuordnung des Arbeitnehmers zu einer ortsfesten betrieblichen Einrichtung dauerhaft ist, wenn der Arbeitnehmer unbefristet, für die Dauer des Dienstverhältnisses oder über einen Zeitraum von mehr als 48 Monaten dort tätig werden soll. 

Erste Tätigkeitsstätte bei eigenständigem Arbeitsvertrag 

Daher geht die Finanzverwaltung ab 2014 davon aus (BMF, Schreiben v. 24.10.2014, Haufe Index I7435128), dass bei grenzüberschreitender Arbeitnehmerentsendung zwischen verbundenen Unternehmen beim aufnehmenden Unternehmen zumindest dann eine erste Tätigkeitsstätte  vorliegt, wenn der Arbeitnehmer im Rahmen eines eigenständigen Arbeitsvertrags mit dem aufnehmenden Unternehmen einer ortsfesten betrieblichen Einrichtung dieses Unternehmens unbefristet zugeordnet ist, die Zuordnung die Dauer des gesamten - befristeten oder unbefristeten - Dienstverhältnisses umfasst oder die Zuordnung über einen Zeitraum von 48 Monaten hinaus reicht. Die Folge wäre, dass die Kosten – anstatt nach Reisekostengrundsätzen - nur bei Vorliegen einer doppelten Haushaltsführung geltend gemacht werden könnten.

Aktuelle Entscheidungen des FG Niedersachsen

Im Rahmen einer aktuellen Entscheidung des FG Niedersachsen (Urteil v. 19.04.2018, 5 K 262/16, auch 5 K 256/16 und 5 K 266/16) arbeitet der Kläger bei der VW AG, welche ihn ab 1.7.2013 an die Volkswagen Group of America entsandte. Die Dauer des Einsatzes war voraussichtlich bis 30.6.2016 befristet. Mit Beginn des Auslandseinsatzes schloss der Kläger einen lokalen Arbeitsvertrag mit der Gastgesellschaft ab, dessen Regeln er auch unterlag.

Argument des Klägers: Keine dauerhafte Zuordnung

Der Kläger war der Auffassung, dass das wesentliche Merkmal der Auswärtstätigkeit in der von vorneherein gegebenen zeitlichen Befristung liege. Eine Auswärtstätigkeit sei nicht dauerhaft, wenn der Arbeitnehmer an seine erste Tätigkeitsstätte zurückkehren und dort seine berufliche Tätigkeit fortsetzen werde, wenn also keine dauerhafte Zuordnung getroffen werde. Daran ändere auch nichts die für kurze Zeit geschlossene arbeitsrechtliche Vereinbarung mit der Gastgesellschaft. Diese Vereinbarung würde nicht zu einer neuen ersten Tätigkeitsstätte führen. Vielmehr gebe es eine Hierarchie der Verträge, wobei vorrangig der Vertrag mit dem entsendenden Arbeitgeber sei, dann folge der Entsendevertrag und nachrangig sei die lokale arbeitsrechtliche Vereinbarung. Es handele sich insofern nicht um einen eigenständigen Arbeitsvertrag, denn ohne Arbeitsvertrag mit dem entsendenden Unternehmen und Entsendevertrag gäbe es keine arbeitsrechtliche Vereinbarung mit der Gastgesellschaft.

FG: Dauerhafte Zuordnung ergibt sich aus den Verträgen

Das FG hat sich aber der Auffassung der Finanzverwaltung angeschlossen. Der Tätigkeitsstätte in der USA sei der Kläger für die gesamte Dauer seiner Entsendung dauerhaft zugeordnet. Die Zuordnung ergäbe sich aus dem Entsendevertrag und aus dem Arbeitsvertrag mit VW Group of America, welche zusammen ein arbeitsrechtliches Regelungswerk bildeten. In diesen Verträgen werden mit den Vertragspartnern, der Vertragsdauer, der zugewiesenen Aufgabe, den Arbeitszeiten und der Höhe der Vergütung einschließlich Zusatzleistungen alle vertragswesentlichen Bestandteile eines Arbeitsvertrages geregelt. Zudem werde der Kläger dem Direktionsrecht von VW Group of America unterstellt, welche eine dienst- oder arbeitsrechtliche Zuordnung zum ausländischen VW-Werk darstellt. Auch liege aufgrund des Abschlusses eines eigenständigen Arbeitsvertrages eine Zuordnung "für die Dauer des Dienstverhältnisses" nach § 9 Abs. 4 Satz 3 EStG vor. 

Revisionsverfahren anhängig

Da bislang noch keine höchstrichterliche Entscheidung zu der Frage vorliegt, unter welchen Voraussetzungen in Entsendefällen von einer dauerhaften Zuordnung im Sinne des § 9 Abs. 4 EStG auszugehen ist, hat das FG die Revision zugelassen, welche auch eingelegt wurde. Vergleichbare Fälle können offen gehalten werden, bis der BFH (Az.: VI R 21/18, 22/18 und 23/18) entschieden hat.