Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss bei Aufenthalt in stationärer Einrichtung. Nichtvorliegen einer richterlich angeordneten Freiheitsentziehung bei Jugendarrest nach § 16 JGG. Integrationsbemühungen zur Eingliederung in Arbeit

 

Leitsatz (amtlich)

Die Verbüßung eines Jugendarrestes nach § 16 Jugendgerichtsgesetz (JGG) unterfällt nicht dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs 4 SGB 2. Der Jugendliche steht bei der Verbüßung eines Jugendarrestes nach § 16 JGG für Integrationsbemühungen zur Eingliederung in Arbeit ausreichend zur Verfügung.

 

Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Altenburg vom 14. Juli 2020 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Frage, ob die Verbüßung eines Jugendarrests den Ausschlusstatbestand des § 7 Abs. 4 Satz 2 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) erfüllt.

Der 2000 geborene, erwerbsfähige Kläger bewohnte eine Wohnung, für welche eine Warmmiete von 320,00 € zu zahlen war. Der Beklagte bewilligte ihm zuletzt mit Bescheid vom 17. Juli 2019 für den Zeitraum August bis November 2019 unter Anrechnung von Kindergeld in Höhe von 204,00 € Leistungen in Höhe von monatlich 570,00 €. Am 19. September 2019 legte der Kläger seine Ladung zum Jugendarrest in Form des Dauerarrests für den Zeitraum vom 23. September bis zum 7. Oktober 2019 vor. Mit Bescheid vom 23. September 2019 hob der Beklagte die Leistungsbewilligung ab dem 1. Oktober 2019 auf. Der Kläger befand sich ausweislich des Entlassungsscheines der Jugendarrestanstalt vom 23. September 2019 9.00 Uhr bis 7. Oktober 2019 9.00 Uhr im Dauerarrest. Ausweislich des Stundennachweises vom 4. Oktober 2019 nahm der Kläger in der 39. Kalenderwoche (24. bis 27. September 2019) an Arbeitseinsätzen im Umfang von 13 Stunden und in der 40. Kalenderwoche (30. September bis 4. Oktober 2019) von 10 Stunden teil. Nach seiner Entlassung aus dem Jugendarrest stellte der Kläger einen erneuten Antrag, auf welchen der Beklagte mit Bescheid vom 10. Oktober 2019 ab dem 7. Oktober 2019 Leistungen bewilligte. Der Kläger erhob gegen den Aufhebungsbescheid Widerspruch, den der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 15. Oktober 2019 zurückwies. Der Kläger sei nach § 7 Abs. 4 Satz 2 SGB II während des Jugendarrests vom Leistungsbezug ausgeschlossen.

Während des Klageverfahrens bewilligte die Wohngeldbehörde dem Kläger für Oktober 2019 Wohngeld in Höhe von 75,00 €. Hierbei wurde ausgeführt, der Bewilligungszeitraum werde verkürzt, weil der Kläger ab dem 7. Oktober 2019 wieder Anspruch auf Arbeitslosengeld II habe. Den vom Beklagten geltend gemachten Erstattungsanspruch in voller Höhe des bewilligten Betrages erfüllte die Wohngeldbehörde.

Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 14. Juli 2020 den angefochtenen Bescheid aufgehoben und die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen. Die Voraussetzungen für eine Aufhebung der Bewilligung lägen nicht vor, weil der Kläger nicht nach § 7 Abs. 4 Satz 2 SGB II vom Leistungsbezug ausgeschlossen sei. Der Dauerarrest nach § 16 des Jugendgerichtsgesetzes (JGG) sei nicht als richterliche angeordnete Freiheitsentziehung i. S. d. § 7 Abs. 4 Satz 2 SGB II zu werten. Es handele sich um ein Zuchtmittel, nicht um eine Strafe und habe auch eine andere Zielsetzung als eine solche. Zudem könne der Jugendarrest in Abhängigkeit von den individuellen Lebensumständen jederzeit geändert und auch aufgehoben werden, beispielsweise bei einer vom Jobcenter vermittelten Arbeit oder Ausbildung. Weiterhin dauere ein Jugendarrest nicht mehr als vier Wochen. § 7 Abs. 4 Satz 3 Nr. 1 SGB II zeige, dass der Gesetzgeber einen ständigen Wechsel der Leistungsträger zumindest für kurze, zeitlich von vornherein begrenzte Zeiträume vermeiden wolle.

Der Beklagte hat die vom Sozialgericht zugelassene Berufung eingelegt. Es könne kein Zweifel daran bestehen, dass es sich bei dem Jugendarrest um einen Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung handele. Der Ausschlusstatbestand des § 7 Abs. 4 Satz 2 SGB II sei daher erfüllt.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Altenburg vom 14. Juli 2020 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte des Beklagten, welche Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet. Das Sozialgericht hat zu Recht entschieden, dass der Bescheid vom 23. September 2019 rechtswidrig ist.

Der Kläger verfolgt sein Begehren zutreffend mit der Anfechtungsklage nach § 54 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Der Bescheid vom 23. September 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. Oktober 2019 ist rechtswidrig. Rechtsgrundlage...

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