Entscheidungsstichwort (Thema)

Beitragsabführung auf Mehrarbeitslohn. Vorenthaltung von Beiträgen. Verjährungsfrist. Säumniszuschläge als "Zinsen" iS des GKG. Nichtanwendung des Grundsatzes des Verbots der reformatio in peius auf Kostenentscheidung der Vorinstanz

 

Leitsatz (amtlich)

1. War der Arbeitgeber bei der Fälligkeit von Beiträgen gutgläubig, ist er aber vor Ablauf der kurzen (vierjährigen) Verjährungsfrist bösgläubig geworden, gilt die 30-jährige Verjährungsfrist (vgl BSG vom 30.3.2000 - B 12 KR 14/99 R = SozR 3-2400 § 25 Nr 7).

2. Stellt ein Arbeitgeber aufgrund der Ergebnisse einer Steueraußenprüfung seine Verfahrensweise um und führt nunmehr ebenfalls entsprechende Versicherungsbeiträge auf den Mehrarbeitslohn ab, ist davon auszugehen, dass er die Beitragspflicht für möglich hält und die Nichtabführung der Beiträge für die Vergangenheit billigend in Kauf nimmt.

3. Der Grundsatz des Verbots der reformatio in peius, der aus § 123 SGG folgt und gemäß § 153 Abs 1 SGG auch für das Berufungsverfahren gilt, findet auf die Kostenentscheidung der Vorinstanz keine Anwendung (vgl LSG Thüringen vom 19.7.2005 - L 6 KR 770/03).

4. Das Tatbestandsmerkmal "Zinsen" in § 22 Abs 1 GKG aF ist auf Säumniszuschläge analog anzuwenden (vgl LSG Mainz vom 3.11.2005 - L 5 B 192/05 KR; FG Baden-Württemberg vom 8.2.2000 - 9 K 47/98).

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 4. August 2003 hinsichtlich der Kostenentscheidung abgeändert. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens und des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen.

Der Wert des Streitgegenstands wird für das erstinstanzliche Verfahren auf 1.778,53 Euro und für das Berufungsverfahren auf 1.765,58 Euro festgesetzt.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über eine Beitragsforderung sowie Säumniszuschläge.

Die Klägerin ist seit 1991 selbständig und führt - seit 1996 in der derzeitigen Form - Serviceleistungen als Subunternehmer im Bad- und Sanitärbereich durch; sie beschäftigt mehrere Arbeitnehmer. Die Klägerin führt selbst die Buchhaltung in ihrem Betrieb durch; sie berechnet selbst die abzuführende Lohnsteuer und Sozialabgaben ihrer Mitarbeiter. Einmal im Jahr werden die Unterlagen an die R. Datenverarbeitung GmbH Steuerberatungsgesellschaft, B., gegeben. Diese fertigt den Jahresabschluss sowie die daraus resultierenden Steuererklärungen (Einkommensteuer, Gewerbesteuer etc.). Zuständige Mitarbeiterin war im streitgegenständlichen Zeitraum die Zeugin A. T.

Das Finanzamt Bad Salzungen führte am 12. und 30. November 1998 für den Zeitraum Januar 1994 bis September 1998 eine Lohnsteueraußenprüfung durch (St.Nr.: ...). Nach den Prüfungsfeststellungen vom 11. Dezember 1998 wurden in der Zeit vom 1. Januar 1996 bis 30. September 1998 an Arbeitnehmer Vergütungen für Mehrarbeitslohn und Mehrarbeitslohnzuschläge gezahlt, die keine steuerfreien Einnahmen i.S.d. § 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) waren. Die Überstundenbezahlung setze sich aus dem steuerpflichtigen Grundlohn für die Überstunden und dem vereinbarten Zuschlag zusammen. Das Finanzamt forderte für 1996 bis 1998 von der Klägerin die Zahlung von insgesamt 8.919,03 DM geschuldeter Lohnsteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer nach. Nach eigenen Angaben in der Senatssitzung am 29. Januar 2007 stellte die Klägerin ihre Verfahrensweise nach der Schlussbesprechung mit dem Finanzamt um und führte ab 1999 für Mehrarbeitslöhne und Mehrarbeitslohnzuschläge die Steuern und Beiträge zur Sozialversicherung ab.

Bei einer Betriebsprüfung der Beklagten am 21. Februar 2001 stellte die Zeugin S. M. fest, dass im streitgegenständlichen Bereich für die pauschalen Zahlungen keine Beiträge zur Sozialversicherung gezahlt worden waren. In einem internen Aktenvermerk vom gleichen Tage vermerkte sie u.a. Folgendes: “…Frau S. war früher in einem Großbetrieb als Finanzbuchhalter tätig. Jetzt macht sie in der eigenen Firma die gesamte Buchhaltung und Lohnbuchhaltung. Nach eigener Aussage war ihr schon bewußt, dass die Steuerpflicht auch die Beitragspflicht nach sich zieht. Eine Auswertung des Berichtes wurde trotzdem versäumt. Frau S. betont, dass bei Nachberechnung der Beiträge die Firma nicht mehr zahlungsfähig ist. Von mir wurde erläutert, dass die Gesetzlichkeiten vorgegeben sind und von mir nicht willkürlich außer Acht gelassen werden können…„

Mit Bescheid vom 29. März 2001 und den beigefügten Anlagen forderte die Beklagte von der Klägerin die Zahlung von 12.652,82 DM (641,76 DM für die Beigeladene zu 1. und 12.011,06 DM für die Beigeladene zu 3.) sowie 3.024,00 DM Säumniszuschläge. Überstundenvergütungen seien stets steuer- und beitragspflichtiger Arbeitslohn. Entgegen dem im Bescheid angegebenen Prüfungszeitraum vom 1. Januar 1997 bis 31. Dezember 2000 berücksichtigte sie in den Anlagen bei der Nachberechnung der Entlohnung der Beigeladenen zu 4. bis 6. tatsächlich einen Zeitraum vom ...

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