Rz. 48

Bei den Versorgungs- und Wirtschaftlichkeitszielen, auf die sich die Partner der Arzneimittelvereinbarung nach Abs. 1 Nr. 2 verständigen müssen, geht es einerseits um die indikationsbezogene Notwendigkeit und Qualität der Arzneimittelversorgung, die auch dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht, sodass sinnvolle Arzneimittelinnovationen Berücksichtigung finden, und andererseits um die Ausschöpfung von zweifellos vorhandenen Wirtschaftlichkeitsreserven im Arzneimittelbereich. Das Morbiditätsrisiko wird stärker als beim starren Arzneimittelbudget auf die Krankenkassen verlagert, eine politische Entwicklung, die sich auch schon bei der vertragsärztlichen Vergütung und beim Risikostrukturausgleich abgezeichnet hat. Bestimmende Faktoren der Versorgungs- und Wirtschaftlichkeitsziele können z. B. der Anteil der Generika am generikafähigen Markt, der Anteil der Reimporte am reimportfähigen Markt, der Anteil der Medikamente mit umstrittener Wirkung sowie der Anteil der Me-too-Präparate sein.

Mit Wirkung zum 1.1.2011 sind die Verordnungs- und Wirtschaftlichkeitsziele dahingehend konkretisiert, dass in der Arzneivereinbarung auch die Verordnungsanteile für Wirkstoffe und Wirkstoffgruppen im jeweiligen Anwendungsgebiet vereinbart werden können. Da es sich nach der Gesetzesbegründung um eine Klarstellung handelt, mit der lediglich ein redaktionelles Versehen korrigiert worden ist, war diese Konkretisierung auch schon in den Arzneivereinbarungen vor dem 1.1.2011 zulässig.

In Nordrhein gilt seit 2020 für die Verordnungs- und Wirtschaftlichkeitsziele der Arzneimittelvereinbarung die sog. Me-too-Liste, die vereinfacht dargestellt, Analogpräparate mit preiswerten zur Verfügung stehenden Alternativen enthält. Analogpräparate sind chemische Innovationen mit pharmakologisch vergleichbaren Wirkungen ohne indikationsspezifische therapeutische Vorteile, die jedoch anders als Generika nicht wirkstoffgleich sind. Diese neuen Substanzen sind patentfähig und ermöglichen dem Erfinder in großen Indikationsgruppen einen profitablen Marktanteil. Arzneimittel mit solchen geringen Molekülvariationen werden wegen ihrer Ähnlichkeit zu bereits eingeführten Wirkstoffen in den angelsächsischen Ländern als sog. Me-too-Präparate bezeichnet. Pharmazeutische Unternehmer fahren aggressive Werbekampagnen, um ihre Produkte gegenüber denen der Wettbewerber zu profilieren, selbst wenn die Produkte im Grunde genommen nicht zu unterscheiden sind. Patentgebundene Analogmittel sind zudem oft teurer als die bereits eingeführten Präparate, sodass es sich ohne Verlust an der Qualität der Arzneimittelversorgung lohnt, den Anteil der Analogmittel per Zielvereinbarung zu reduzieren.

 

Rz. 49

Versorgungs- und Wirtschaftlichkeitsziele (Abs. 1 Satz 2 Nr. 2) sind auf KV-Ebene nur sinnvoll, wenn sie in Zielvereinbarungen gekleidet sind, die konkrete, auf die Umsetzung dieser Ziele ausgerichtete Maßnahmen vorgeben. Insofern sind Zielvereinbarungen ein Instrument, die wirtschaftliche Verordnungsweise der Ärzte insgesamt und des einzelnen Arztes im KV-Bereich zu sichern. Bei den Zielvereinbarungen können sich die Vertragspartner der Arzneimittelvereinbarung auf konkrete Einsparpotentiale in der Arzneimittelversorgung verständigen, wie etwa den Anteil der preisgünstigen Generika zu erhöhen oder den der Analogpräparate und umstrittenen Arzneimittel zu senken. Durch das Wort "insbesondere" in Abs. 1 Nr. 2 wird deutlich, dass Zielvereinbarungen in erster Linie dazu dienen, während der Laufzeit der Arzneimittelvereinbarung die Ärzte im KV-Bereich allgemein oder gezielt zu informieren und zu beraten.

 

Rz. 50

Mit dieser Steuerung durch Zielvereinbarungen werden die Partner der Arzneimittelvereinbarung präventiv tätig, weil es immer besser ist, die Einhaltung oder Unterschreitung des Arzneiverordnungsvolumens unter der Prämisse einer bedarfsgerechten, wirtschaftlichen und qualitätsgesicherten Arzneimittelversorgung zu erreichen als nachträglich mit aufwendigen Ausgleichsmaßnahmen zu reagieren, wenn das Arzneiverordnungsvolumen oder die Zielvereinbarungen überschritten worden sind. Das gesetzlich vorgesehene Verfahren der arztbezogenen Wirtschaftlichkeitsprüfung der ärztlich verordneten Leistungen (§ 106b) wird durch die Zielvereinbarungen nicht ersetzt, sondern ggf. als Maßnahme eingesetzt, wenn die Zielvereinbarungen erreicht (keine Prüfung nach § 106b) oder nicht erreicht worden sind (Prüfung nach § 106b).

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