Rz. 5

Eine Ortskrankenkasse ist von der Aufsichtsbehörde zu schließen, wenn ihre Leistungsfähigkeit auf Dauer nicht mehr gesichert ist. Aus der imperativen Formulierung des Gesetzes folgt die Verpflichtung der Aufsichtsbehörde zur Schließung, wenn diese gesetzliche Voraussetzung vorliegt (so auch Hänlein, in: Hänlein/Schuler, LPK-SGB V, 5. Aufl., §§ 146a f. Rz. 1; Baier, in: Krauskopf, SozKV, SGB V, § 146a Rz. 3, Stand: März 2012; Koch, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, § 146a Rz. 6, Stand: 10.12.2018). Der Aufsichtsbehörde steht jedoch wegen der notwendigen Prognose gerade auch für die künftige finanzielle Entwicklung eine Einschätzungsprärogative zu. Ansonsten ist die Schließungsverfügung eine rein rechtsgebundene Entscheidung.

 

Rz. 6

Der Begriff der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ist im Gesetz nicht näher definiert. Die frühere Rechtsprechung (BSG, Urteil v. 17.7.1985, 1 RR 8/84, BSGE 58 S. 254 = SozR 2000 § 250 RVO Nr. 10 und Urteil v. 23.11.1995, 1 RR 1/95, USK 9541) verstand im Zusammenhang mit der Errichtung und Erweiterung von Betriebs- und Innungskrankenkassen, die die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der AOK nicht gefährden durfte (vgl. § 147 Abs. 1 Nr. 3, § 157 Abs. 2 Nr. 3 i. d. F. des Gesundheitsreformgesetzes – GRG), darunter die finanzielle Fähigkeit der AOK, die gesetzlichen regel- und satzungsmäßigen Mehrleistungen erbringen zu können wie vergleichbare Krankenkassen. Die Leistungspflicht der Krankenkassen wird und wurde im Wesentlichen durch die gesetzlichen Pflichtleistungen bestimmt. Eine Krankenkasse wird richtigerweise daher auch satzungsmäßige Mehrleistungen reduzieren oder streichen, wenn ihre Leistungsfähigkeit gefährdet ist. Damit reduzierte sich bislang die Beurteilung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit letztlich auf einen Vergleich der notwendigen Beitragssätze (Bedarfssatz) zur Finanzierung der Leistungsausgaben. Der nach § 147 Abs. 1 Satz 2 (i. d. F. des Gesundheitsstrukturgesetzes – GSG) zur Beurteilung der Leistungsgefährdung einer AOK durch die Errichtung einer Betriebskrankenkasse geregelte Bedarfssatz und dessen Überschreitung um mehr als 10 % des landesdurchschnittlichen oder mehr als 12,5 % des bundesdurchschnittlichen Bedarfssatzes konnte zwar bislang als ein Anhaltspunkt für die Beurteilung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit herangezogen werden, war und ist jedoch kein ausschlaggebender Maßstab für oder gegen die Zulässigkeit der Schließung einer AOK nach der ab 1.1.1996 bestehenden Wettbewerbssituation.

 

Rz. 7

Die Beurteilung der Leistungsfähigkeit einer Krankenkasse nach dem notwendigen Beitragssatz (Bedarfssatz) ist nach Einführung eines bundesweit gesetzlich vorgeschriebenen einheitlichen Beitragssatzes für alle Krankenkassen (vgl. § 241) nicht mehr möglich (a. A. Marburger, in: Eichenhofer/Wenner, SGB V, 3. Aufl., § 146a Rz. 4). Ob die Beitragseinnahmen und sonstigen Einnahmen die Leistungsausgaben und die vorgeschriebene Auffüllung der Rücklage decken (§ 220 Abs. 1), bestimmt sich nunmehr allein noch danach, ob die Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds (§ 266) oder andere Ausgleiche (§§ 265, 265a, 265b) zur Deckung der Leistungsaufwendungen und Verwaltungskosten ausreichen oder ob ein krankenkassenindividueller Zusatzbeitragssatz nach § 242 zu erheben oder zu erhöhen wäre und dieser auf Dauer die Leistungsfähigkeit herstellen oder erhalten könnte. Kommt ein Satzungsbeschluss zur Erhöhung des Zusatzbeitragssatzes zur Herstellung der Leistungsfähigkeit nicht zustande, hat die Aufsichtsbehörde nach § 242 Abs. 2 Satz 3 zwar grundsätzlich die Befugnis, die notwendige Erhöhung des Zusatzbeitragssatzes verbindlich anzuordnen, sie ist dazu jedoch nicht vorrangig vor einer Schließung verpflichtet (so auch Baier, in: Krauskopf, SozKV, SGB V, § 146a Rz. 6, Stand: März 2012).

 

Rz. 8

Vor dem Hintergrund des einheitlichen Beitragssatzes, der Finanzzuweisungen aus dem Gesundheitsfonds oder anderer Finanzausgleiche und der Insolvenzfähigkeit auch der Ortskrankenkassen ab 2010 (vgl. § 171b) wird man nunmehr die fehlende Leistungsfähigkeit von Ortskrankenkassen an den Maßstäben des § 172 Abs. 2 zu messen haben (so auch Hänlein, in: Hänlein/Schuler, LPK-SGB V, 5. Aufl., §§ 146a f. Rz. 2). Danach hat der Spitzenverband Bund die Aufsichtsbehörde zu unterrichten, wenn in der letzten Vierteljahresrechnung einer Krankenkasse die Ausgaben die Einnahmen um einen Betrag überstiegen haben, der größer als 0,5 % der durchschnittlichen monatlichen Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds ist. Desgleichen sind den Aufsichtsbehörden die in den Jahresrechnungen zum Stichtag 31.12. eines jeden Kalenderjahres ausgewiesenen Betriebsmittel, Rücklagen und Geldmittel zur Anschaffung und Erneuerung von Verwaltungsvermögen einer Krankenkasse mitzuteilen. Anhand dieser Daten und der Stellungnahme des Spitzenverbandes ist dann zu ermitteln, ob die Leistungsfähigkeit der Ortskrankenkasse gefährdet ist.

 

Rz. 9

Zur Beurteilung der fehlenden Leistungsfähigkeit für die Schließung konnte bisher nur bedingt ...

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