Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren: Kostenentscheidung nach Erledigung des Rechtsstreits. Klageveranlassung durch die Behörde bei verweigerter Akteneinsicht. Anspruch auf Übersendung einer Verwaltungsakte in die Kanzleiräume eines Rechtsanwalts

 

Orientierungssatz

1. Wurde einem Rechtsanwalt als Vertreter eines Widerspruchsführers im Widerspruchsverfahren die Übersendung einer umfangreichen Akte in seine Kanzlei verweigert und war deshalb eine Akteneinsicht erst im gerichtlichen Verfahren möglich, so können bei einer Erledigung des Verfahrens nach erfolgter Akteneinsicht die Kosten des Verfahrens im Rahmen einer Billigkeitsentscheidung der Behörde auferlegt werden, da sie durch die Verweigerung des Akteneinsichtsrechts Anlass zur Klage gegeben hatte.

2. Jedenfalls bei einer umfangreichen Verwaltungsakte darf ein Rechtsanwalt als Vertreter eines Widerspruchsführers im Rahmen eines Akteneinsichtsgesuchs nicht auf eine Akteneinsicht in den Behördenräumen verwiesen werden. Vielmehr ist ihm die Akte in die Kanzleiräume zu übersenden. Dies gilt erst Recht, wenn in den Amtsräumen Kopien aus der Akte nur kostenpflichtig erstellt werden können.

 

Tenor

Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Kläger zu erstatten.

 

Gründe

I.

Die am 08.07.2010 erhobene Klage wurde im Erörterungstermin am 18.02. 2011 von der Klägerseite in der Hauptsache für erledigt erklärt.

Die Kläger hatten über ihren Prozessbevollmächtigten gegen den streitgegenständlichen Bescheid eingelegt und im Rahmen dieses Verfahrens Akteneinsicht im Wege der Übersendung der Akte in dessen Büro begehrt. Dabei wurde mitgeteilt, dass eine weitergehende Widerspruchsbegründung erst nach Akteneinsicht möglich sei.

Ohne die Akteneinsicht zu gewähren, wurde der streitgegenständliche Widerspruchsbescheid vom14.06.2010 erlassen, gegen die sich die Klage richtet.

Die Kläger begehren der Beklagten die notwendigen außergerichtlichen Kosten aufzuerlegen, da das Klageverfahren durch die Nichtgewährung der Akteneinsicht durch Übersendung der Verwaltungsakte an den Prozessbevollmächtigten provoziert worden sei. Zur Prüfung des Leistungsanspruchs sei die Einsichtnahme in die umfangreiche Verwaltungsakte erforderlich, sie könne in den Räumen der Kanzlei auch ohne weitere Kosten eingescannt werden.

Die Beklagte ist der Ansicht eine Kostentragungspflicht sei nicht gegeben, da sie nach ihrem Ermessen gemäß § 84 a SGG zur zeitnahen Widerspruchsbearbeitung berechtigt gewesen sei, den Prozessbevollmächtigen auf die Möglichkeit der Akteneinsicht in den Räumen der Behörde zu verweisen; dort sei auch die Möglichkeit gegeben, Kopien anfertigen zu lassen, wobei im Rahmen einer Ermessensentscheidung im Einzelfall Kopiekosten analog § 11 Thür. Verwaltungskostengesetz erhoben würden.

II.

Der Kostenerstattungsanspruch der Antragstellerin ergibt sich aus § 193 SGG.

Nach § 193 Abs. 1 Satz 3 SGG entscheidet das Gericht auf Antrag durch Beschluss, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben, wenn das Verfahren - wie hier - anders als durch Urteil oder im verfahren auf einstweiligen Rechtsschutz durch Beschluss endet. Das Gericht hat dabei unter Beachtung aller Umstände des Einzelfalles nach billigem Ermessen zu entscheiden. Im Rahmen dieser unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes zu treffenden Billigkeitsentscheidung sind sowohl die Erfolgsaussichten des Rechtsschutzbegehrens als auch die Gründe für die Klageerhebung bzw. Antragstellung zu beachten (Thüringer LSG, Beschluss vom 15. Februar 2008 - L 9 B 133/07 AS m.w.N.).

Abgesehen von der in § 194 Satz 1 SGG ausgesprochenen Verweisung auf § 100 der Zivilprozessordnung (ZPO) finden die Vorschriften der ZPO bei der zu treffenden Kostenentscheidung keine Anwendung. Denn die besondere, den Eigenarten des sozialgerichtlichen Verfahrens angepasste Kostenregelung des SGG schließt eine entsprechende Anwendung dieser Vorschriften nach § 202 SGG aus (BSG SozR 3-1500 § 193 Nr. 2 Satz 3).

Im Rahmen der Ermessensausübung können aber gleichwohl die in den §§ 91 ff. ZPO enthaltenen allgemeinen Kostengrundsätze Berücksichtigung finden, um der Ermessensausübung einen hinreichend sicheren Prüfungsmaßstab zu Grunde legen zu können.

Hieraus folgt im Allgemeinen, dass es sachgemäßem Ermessen entspricht, wenn auf den tatsächlichen (äußeren) Verfahrensausgang abgestellt wird, also dem Beteiligten die Kosten des Verfahrens auferlegt werden, der (materiell) das erledigende Ereignis herbeigeführt hat (Anerkennung des geltend gemachten Anspruchs durch den Beklagten, Verzicht auf die Durchführung des Rechtsstreits aus freien Stücken durch den Kläger, vgl. Zeihe, Sozialgerichtsgesetz, Kommentar, § 193 Rdnr. 7 a: Meyer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetz, Kommentar, 9. Auflage 2008, § 193 Rdnr. 12 ff.). Dies gilt in aller Regel aber dann nicht, wenn der Beklagte durch sein Verhalten keine Veranlassung zum Verfahren gegeben und den geltend gemachten Anspruch auf Grund einer späteren Änderung der Sach- und Rechtsl...

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