Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Bedarfsgemeinschaft. dauernd getrennt lebender Ehegatte. keine Anwendung familienrechtlicher Grundsätze. Unvereinbarkeit mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums. Orientierung am tatsächlichen Bedarf. verfassungskonforme Auslegung. nicht nur vorübergehendes Führen getrennter Haushalte

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der Begriff des Getrenntlebens iS des § 7 Abs 3 Nr 3 Buchst a SGB 2 hat eine eigenständige Bedeutung und ist nicht ausschließlich iS der Kriterien des § 1567 Abs 1 S 1 BGB zu verstehen. Ehegatten sind als dauernd getrennt lebend iS des § 7 Abs 3 Nr 3 Buchst a SGB 2 vielmehr bereits anzusehen, wenn sie nicht nur vorübergehend keinen gemeinsamen Haushalt führen (Abweichung von BSG vom 18.2.2010 - B 4 AS 49/09 R = BSGE 105, 291 = SozR 4-4200 § 7 Nr 16).

2. Aus dem gesetzgeberischen Konzept zur Gestaltung des Anspruchs auf Gewährleistung des Existenzminimums folgt, dass das Vorliegen einer Bedarfsgemeinschaft, sofern hieran - wie in § 20 Abs 4 SGB 2 - leistungsrechtliche Konsequenzen geknüpft werden, stets das Bestehen einer Haushaltsgemeinschaft voraussetzt. Die Berücksichtigung von nicht haushaltsangehörigen Personen bei der Festlegung des maßgeblichen Regelbedarfs der Leistungsberechtigten, wäre verfassungswidrig.

3. Die Regelung des § 7 Abs 3 Nr 3 Buchst a SGB 2 ist der verfassungskonformen Auslegung zugänglich.

 

Tenor

1. Der Beklagte wird unter Abänderung des Bescheids vom 11.09.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.10.2012 verurteilt, der Klägerin höhere Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 01.09.2012 bis zum 28.02.2013 unter Berücksichtigung der Hälfte der tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung, unter Berücksichtigung des Regelbedarfs für Alleinstehende und unter Berücksichtigung eines Alleinerziehendenmehrbedarfs in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

2. Der Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt höhere Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

Die 1964 geborene verheiratete Klägerin bezieht seit dem 01.03.2011 Arbeitslosengeld II vom Beklagten. Sie lebt seit diesem Zeitpunkt zusammen mit ihrer 2010 geborenen Tochter in einer Wohnung in M… und geht in geringem Umfang einer selbstständigen Erwerbstätigkeit nach. Die Wohnung verfügt über eine Wohnfläche von 63,36 m². Die Klägerin hat eine Kaltmiete von 326,30 € monatlich und eine Betriebskostenvorauszahlung in Höhe von 78,49 € monatlich zu entrichten. In der Wohnung wohnte zunächst auch der Ehemann der Klägerin, der zeitweilig ebenfalls Arbeitslosengeld II vom Beklagten erhielt. Im Zeitraum vom 01.09.2012 bis zum 28.02.2012 wohnte der Ehemann der Klägerin zu Studienzwecken in S… in einer eigenen Wohnung und besuchte die Klägerin und die gemeinsame Tochter nur gelegentlich am Wochenende.

Am 30.12.2011 teilte die Klägerin dem Beklagten mit, dass sie sich von ihrem Ehemann getrennt habe und sie seit November 2011 alleinerziehend sei. In einem undatierten Schreiben vermutlich von Mitte Januar 2012 teilte die Klägerin mit, dass sie sich mit ihrem Ehemann wieder versöhnt habe. Mit einem Schreiben vom 18.05.2012 teilte die Klägerin mit, dass sie seit dem 20.02.2012 von ihrem Mann dauernd getrennt lebe, mit dem Ziel der Ehescheidung. Die Trennung sei endgültig, ihr Mann wohne nicht mehr in der Wohnung und sei dort auch nicht mehr gemeldet.

Mit Bescheid vom 11.09.2012 bewilligte der Beklagte der Klägerin und ihrer Tochter vorläufig Leistungen in Höhe von 693,36 € monatlich für den Zeitraum vom 01.09.2012 bis zum 28.02.2013. Bei der Klägerin wurde hierbei ein Regelbedarf von 337 € zuzüglich Warmwassermehrbedarf in Höhe von 7,75 € sowie Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe von insgesamt 155,93 € berücksichtigt, so dass Leistungen in Höhe von 500,68 € bewilligt wurden. Der Vorläufigkeitsvorbehalt erfolgte auf Grund der Angaben der Klägerin zum voraussichtlichen Einkommen aus selbstständiger Erwerbstätigkeit. Tatsächlich wurde kein Einkommen angerechnet. Bei der Tochter wurde ein Regelbedarf von 219 € zuzüglich Warmwassermehrbedarf von 1,75 € sowie Unterkunftsbedarf in Höhe von 155,93 € berücksichtigt und Einkommen aus Kindergeld in Höhe von 184 € in Abzug gebracht, so dass Leistungen in Höhe von 192,68 € bewilligt wurden. Der Ehemann der Klägerin wurde im dem Bescheid beigefügten Berechnungsbogen als Mitglied der Bedarfsgemeinschaft geführt. Ihm wurden jedoch keine Leistungen bewilligt.

Hiergegen legte die Klägerin mit Schreiben vom 15.09.2012 Widerspruch ein und führte zur Begründung aus, dass sie seit dem 20.02.2012 von ihrem Mann getrennt lebe und die Abmeldebestätigung dem Beklagten vorliege. Er gehöre nicht zur Bedarfsgemeinschaft. Auch sei im Bescheid nicht berücksichtigt, dass die Klägerin allein erziehend mit einem Kind unter drei Jahren sei.

Mit Schreiben vom 25.09.2012 teilte die Klägerin dem Jugendamt...

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