Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe. aufstockende Gewährung von Blindenhilfe zum Landesblindengeld. Einkommenseinsatz. zweckbestimmte Leistung. Zweckidentität

 

Orientierungssatz

Blindenhilfe nach § 72 SGB 12 ist aufstockend zu gewähren, wenn und soweit das Landesblindengeld - hier nach dem Bayerischen Blindengeldgesetz (juris: BliGG BY) - nicht die Höhe der Blindenhilfe gem § 72 Abs 2 SGB 12 erreicht. Ein Einkommenseinsatz gem §§ 82, 83 SGB 12 greift nicht.

 

Tenor

I. Unter Abänderung des Bescheides vom 08.12.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.07.2009 wird der Beklagte verurteilt, dem Kläger Blindenhilfe nach § 72 SGB XII ohne Anrechnung des Landesblindengeldes nach § 83 SGB XII zu zahlen.

II. Der Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu ersetzen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt vom Beklagten die Gewährung von Blindenhilfe gemäß § 72 SGB XII ohne dass im Rahmen der Einkommensberechnung nach den §§ 82 ff. SGB XII das Landesblindengeld als anrechenbares Einkommen berücksichtigt wird.

Der am ...1963 geborene Kläger ist blind. Der Kläger wohnt mit seiner Lebensgefährtin Frau B. H. zusammen in einer Bedarfsgemeinschaft. Beide erhalten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II von der Agentur für Arbeit S. Ferner bezieht der Kläger Blindengeld nach dem Bayer. Blindengeldgesetz (sog. Landesblindengeld). Das Landesblindengeld betrug gemäß Bescheid des Zentrums Bayern Familie und Soziales vom 09.07.2008 für die Zeit ab 01.02.2008 500,00 EUR monatlich und ab 01.07.2008 monatlich 505,00 EUR.

Mit Schreiben vom 14.05.2008 beantragte der Kläger beim beklagten Bezirk Niederbayern ergänzende Blindenhilfe nach SGB XII. Die Blindenhilfe beträgt nach § 72 Abs. 2 Satz 1 SGB XII bis 30.06.2004 für blinde Menschen, die das 18. Lebensjahr vollendet haben 585,- EUR monatlich. Die Blindenhilfe verändert sich jeweils zu dem Zeitpunkt und in dem Umfang, wie sich der aktuelle Rentenwert in der gesetzlichen Rentenversicherung verändert. Bei isolierter Anwendung des § 72 Abs. 1 SGB XII ergibt sich demnach für den Zeitraum 01.01.2008 bis 30.06.2008 eine "aufgestockte Blindenhilfe" i.H.v. 88,16 EUR und für den Zeitraum ab 01.07.2080 i.H.v. 89,63 EUR.

Mit Bescheid vom 08.12.2008 gewährte der Beklagte ab 21.05.2008 bis auf weiteres eine Blindenhilfe jedoch nur in folgender Höhe:

- anteilig 21.05.2008 bis 31.05.2008 in Höhe von monatlich 5,41 EUR - vom 01.06.2008 bis 30.06.2008 in Höhe von monatlich 14,76 EUR und - ab 01.07.2008 bis auf weiteres in Höhe von monatlich 15,43 EUR.

Bei der Berechnung der "aufgestockten" Blindenhilfe nach § 72 SGB XII wurde insbesondere das Landesblindengeld als Einkommen nach § 83 SGB XII berücksichtigt, so dass sich die Hilfebedürftigkeit des Klägers entsprechend minderte. Bezüglich den sonstigen Berechnungen wird auf die Berechnungsblätter des Bescheids vom 08.12.2008 verwiesen (vgl. Blätter 47 ff. Beklagtenakte).

Am 15.12.2008 legte der Kläger gegen den Bewilligungsbescheid vom 08.12.2008 Widerspruch ein. Das Landesblindengeld sei nicht nach § 83 Abs.1 SGB XII als Einkommen anzurechnen, da bei der Bundesblindenhilfe § 72 Abs.1 SGB XII als speziellere Anrechnungsvorschrift Vorrang habe. Mit dieser unmittelbaren Anrechnung des Landesblindengelds im Rahmen des § 72 Abs. 1 Satz 1 SGB XII habe bereits eine Verwertung dieser Leistung stattgefunden. Deshalb könne das Landesblindengeld nicht auch noch bei der Berechnung der Bedürftigkeit nach den §§ 82 ff. SGB XII angesetzt werden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 15.07.2009 wies die Regierung von Niederbayern den Widerspruch zurück. Insbesondere dürfe bei der Zusammenstellung des Einkommens das Landesblindengeld berücksichtigt werden. Zum Einkommen gehören nach § 82 Abs.1 SGB XII alle Einkünfte in Geld- oder Geldeswert mit Ausnahme einiger ausdrücklich genannter Leistungen. Danach sei auch das Landesblindengeld Einkommen im Sinne des Sozialhilferechts.

Am 13.08.2009 erhob der Kläger, vertreten durch den Bayer. Blinden- und Sehbehindertenbund e.V. (BBSB), Klage zum Sozialgericht Landshut:

Unstrittig sei, dass es sich bei dem Landesblindengeld um eine zweckidentische Leistung wie bei der Blindenhilfe nach dem § 72 SGB XII handle. Beide Leistungen dienen dem Ausgleich der durch die Blindheit bedingten Mehraufwendungen und Benachteiligungen. Das Landesblindengeld sei jedoch nicht nach § 83 Abs.1 SGB XII als Einkommen anzurechnen, da bei der Blindenhilfe § 72 Abs.1 SGB XII als Spezialvorschrift anzuwenden sei. Deshalb betrage die ergänzende Blindenhilfe in Bayern auch maximal 88,16 bzw. 89,63 EUR (Differenzbetrag zwischen Blindenhilfe und Blindengeld). Mit dieser unmittelbaren Anrechnung des Landesblindengeldes habe bereits eine Verwertung dieser Leistungen stattgefunden. Wenn das Landesblindengeld aber schon bei der Höhe des Betrages der Blindenhilfe in Abzug gebracht worden sei, könne es nicht auf der anderen Seite auch noch bei der Berechnung der Bedürftigkeit angesetzt werden. Durch die Anrechnung des Landesblindengeld...

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