Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe. Hilfe zum Lebensunterhalt. Einkommen und Vermögen von Ehegatten. Verweigerung der Unterstützung des Ehegatten. Fehlen bereiter Mittel. Leistungserbringung durch den Sozialhilfeträger. Kostenersatzanspruch nach § 103 Abs 1 SGB 12 oder Aufwendungsersatzanspruch nach § 19 Abs 5 SGB 12

 

Orientierungssatz

1. Nach Sinn und Zweck des § 27 Abs 2 S 2 SGB 12 setzt die gemeinsame Berücksichtigung des Einkommens voraus, dass es den Mitgliedern der Einsatzgemeinschaft auch gemeinsam zur Verfügung steht.

2. Steht das Einkommen und Vermögen des Ehepartners dem Bedürftigen tatsächlich nicht zur Verfügung (weil sich zB der Ehemann weigert, seiner bedürftigen Ehefrau Leistungen zu erbringen), müssen Leistungen der Sozialhilfe ohne Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen gewährt werden.

3. Der Sozialhilfeträger kann in diesen Fällen einen Kostenersatzanspruch nach § 103 Abs 1 SGB 12 geltend machen. Denkbar ist aber auch ein Aufwendungsersatzanspruch nach § 19 Abs 5 SGB 12.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 06.12.2018; Aktenzeichen B 8 SO 2/17 R)

 

Tenor

Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 26. Oktober 2015 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 16. November 2015 verurteilt, der Klägerin für die Zeit vom 2. Oktober 2014 bis 18. September 2015 Leistungen nach dem 12. Buch Sozialgesetzbuch für die am X. verstorbene X. in Höhe von 18.822,77€ zzgl. Zinsen hieraus in Höhe von 8% über dem Basiszinssatz seit dem 11. Dezember 2015 zu gewähren.

Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten.

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die Klägerin als Pflegeheimträgerin aus übergeleitetem Recht einen Anspruch gegen den beklagten Sozialhilfeträger auf Erstattung von Pflegeheimkosten nach dem SGB XII hat. Insoweit ist zwischen den Beteiligten allein umstritten, ob nach dem Tod der Pflegeheimbewohnerin X. rückwirkend (fiktiv) die Eigentumswohnung ihres Ehemannes in Istanbul bei der Berechnung des Sozialhilfeanspruchs vom Beginn des Heimaufenthalts bis zum Tod im X. zu berücksichtigen ist.

Die am X. geborene und abgesehen von Leistungen ihrer Pflegeversicherung einkommens- und vermögenslose X. beantragte am 06. Oktober 2014 die Gewährung von Sozialhilfe anlässlich des wenige Tage zuvor begonnenen Heimaufenthalts in der X. in Heilbronn. Im weiteren Verwaltungsverfahren erklärte der anwaltlich vertretene Ehemann von Frau X. auf entsprechende Nachfragen der Beklagten, er sehe sich außer Stande, seine Frau zu unterstützen. Er lebe lediglich von einer Altersrente in Höhe von 471,32€ und einer Betriebsrente von 134,37€. Demgegenüber sei er verpflichtet, 565,21€ an Miete inklusive Nebenkosten zu zahlen. Aufgrund seiner geringen Rente habe er sich entschlossen, die Mietwohnung in Deutschland abzugeben und mindestens die Hälfte des Jahres in seiner Eigentumswohnung in Istanbul zu verbringen. Er bemühe sich darum, eine “sehr kostengünstige„ Ein-Zimmer-Wohnung in Deutschland anzumieten. Die Eigentumswohnung in der Türkei werde von der Stadt X. mit 102.000 Türkischen Lira (umgerechnet gut 30.000 €) bewertet. Es handle sich um “geschütztes Vermögen„. Er wohne dort mehrere Monate im Jahr, da hierdurch die allgemeinen Kosten für seinen Lebensunterhalt geringer seien als in Deutschland.

Mit Schreiben vom 03. und 15. März 2015 bestätigten zwei Enkel des Ehemanns von X., dass dieser vorerst seit 10. März 2015 in der Türkei lebe und seitdem von ihnen nicht mehr unterstützt werde.

Am 18. September 2015 verstarb X., ohne dass die Beklagte ihr zuvor einen Bescheid über die Bewilligung oder Ablehnung der Gewährung von Sozialhilfe bekannt gegeben hätte.

Mit Bescheid vom 26. Oktober 2015 lehnte es die Beklagte ab, der Klägerin als Trägerin der X. in Heilbronn aus übergeleitetem Recht zur Deckung der Heimpflegekosten von Frau X. im Zeitraum vom 02. Oktober 2014 bis zu deren Tod am 18. September 2015 Leistungen nach dem SGB XII zu gewähren. Zur Begründung führte sie aus, gemäß § 2 SGB XII in Verbindung mit § 19 Abs. 3 und § 43 Abs. 1 SGB XII könne Sozialhilfeleistungen nicht erhalten, wer sich vor allem durch Einsatz seines Einkommens und Vermögens selbst helfen könne. Vorliegend sei der Ehemann der verstorbenen X. Eigentümer einer Wohnung in der Türkei. Hierbei handle es sich um verwertbares Vermögen i.S.v. § 90 Abs. 1 SGB XII. Es wäre ohne Weiteres kurzfristig möglich gewesen, die Eigentumswohnung zu belasten oder zu verkaufen. Es sei auch davon auszugehen, dass eine uneingeschränkte Verwertbarkeit der Vermögenswerte möglich gewesen sei.

Den hiergegen eingelegten Widerspruch begründete die Klägerin damit, dass die Berücksichtigung von Mitteln des Ehegatten lediglich insoweit zulässig sei, als dieser den Bedürftigen tatsächlich unterstütze. Hier habe sich der Ehemann der verstorbenen X. aber ausdrücklich geweigert, seine Frau zu unterstützen. Etwaige Mittel aus der Eigentumswohnung hätten Frau X. daher tatsächlich nicht zur Deckung ihres Bedarfs aus dem Aufenthalt im Pflegeheim zur Verfügung gestanden. Im Üb...

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