Entscheidungsstichwort (Thema)

Beitragszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung. Versicherungspflicht von in einer Fürsorgeeinrichtung untergebrachten Jugendlichen bei Erbringung von Arbeitsleistungen in der Fürsorgeeinrichtung

 

Orientierungssatz

Zur Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung bei Jugendlichen und Heranwachsenden, die im Rahmen einer vormundschaftsgerichtlich angeordneten Unterbringung von der Fürsorgeeinrichtung zur Erbringung von Arbeitsleistungen herangezogen worden waren (hier: für den Zeitraum von September 1969 bis September 1970).

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 13.04.2022; Aktenzeichen B 5 R 291/21 B)

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Anerkennung von rentenrechtlichen Zeiten nach dem Sechsten Sozialgesetzbuch (SGB VI).

Der 1952 geborene Kläger hielt sich von September 1969 bis einschließlich September 1970 13 Monate in einem Heim des kirchlichen Heimträgers C. (Zweiganstalt D.) in K-Stadt (Niedersachsen) aufgrund einer Unterbringungsanordnung des zuständigen Jugendamtes auf. Während des Aufenthalts musste der Kläger für den Heimträger u.a. Torf stechen. Der Heimträger bot Berufsschulunterricht an (vgl. Bl. 22 d. Gerichtsakte).

Der Kläger erhielt ab 1. Januar 1986 durchgehend eine Rente wegen Erwerbsminderung.

Der Kläger beantragte am 26. April 2017 die Regelaltersrente. Im Versicherungsverlauf bestand vom 16. August 1969 bis 30. September 1970 kein Eintrag zu einer Pflichtversicherung. Mit Bescheid vom 6. Juni 2017 wurde dem Kläger eine Altersrente bewilligt.

Hiergegen erhob der Kläger am 3. Juli 2017 Widerspruch und trug vor, dass die Zeit von September 1969 bis September 1970 nicht als rentenversicherungsrechtliche Zeit berücksichtigt worden sei.

Mit Schreiben vom 4. Juli 2017 wurde dem Kläger von der Beklagten mitgeteilt, dass für die Zeiten keine rentenrechtlichen Zeiten berücksichtigt werden könnten. Es handele sich bei ihm um ein ehemaliges Heimkind. Nach damaliger Anschauung sei das Prinzip der Erziehung durch Arbeit vorherrschend gewesen. Heimkinder hätten nicht in einem auf den freien Austausch von Arbeit und Lohn gerichteten Verhältnis gestanden. Der Kläger erwiderte daraufhin, dass das Bundesverfassungsgericht 1972 (Beschluss vom 14. März 1972; Az. 2 BvR 41/71) entschieden habe, dass die Grundrechte von Strafgefangenen nur durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes eingeschränkt werden dürfe.

Mit Widerspruchsbescheid vom 19. Oktober 2017 wurde der Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen. Rentenrechtliche Zeiten ergäben sich aus § 54 Abs. 1 SGB VI. Beitragszeiten aus § 55 Abs. 1 S. 1 SGB VI. Danach seien Pflichtbeitragszeiten auch solche Zeiten, für die zwar kein Beitrag gezahlt worden sei, für die Pflichtbeiträge nach besonderen Vorschriften jedoch als gezahlt gelten. Die von ehemaligen Heimkindern geleistete Arbeit könne nicht als rentenrechtliche Beitragszeit nach § 50 Abs. 1 SGB VI angerechnet werden. Vom Heim seien keine Beiträge gezahlt worden, auch habe kein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis im Sinne des § 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI vorgelegen. Denn es habe sich nicht um ein freiwilliges Beschäftigungsverhältnis gehandelt. Heimkindern sei es nicht möglich gewesen, nicht zu arbeiten. Die im Rahmen der Unterbringung erbrachten Leistungen, wie Kost und Logis, stellten kein beitragspflichtiges Arbeitsentgelt dar.

Hiergegen hat der Kläger am 6. November 2017 Klage am Sozialgericht Frankfurt am Main erhoben.

Der Kläger trägt vor, dass die rechtswidrige Einschränkung von Grundrechten jenseits des allgemeinen Arbeitsrechts nicht berücksichtigt worden seien. Es habe sich bei dem Heim um eine Haftanstalt mit organisierter Zwangsarbeit gehandelt. Er sei wie eine Person in einem Ghetto im Dritten Reich zu behandeln.

Der Kläger beantragt wörtlich,

1) festzustellen, dass die Monate September 1969 bis September 1970 als Beitragszeiten gelten;

2) festzustellen, dass die Beitragszeit von September 1969 bis September 1970 bereits 1984 bei der Berechnung bzw. Bewilligung der Erwerbsunfähigkeitsrente hätte berücksichtigt werden müssen;

3) festzustellen, dass es in der C.-ler Anstalt D. Zwangsarbeit gegeben habe.

Mit Schriftsatz vom 5. Februar 2018 hat der Kläger seine Klage dahingehend erweitert,

4) den Rentenbescheid bezüglich der Erwerbsminderungsrente von 1984 zu überprüfen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie bezieht sich hinsichtlich ihres Vortrags auf die Ausführungen im Bescheid und Widerspruchsbescheid.

Mit Schreiben vom 17. Mai 2018 hat das Gericht die Beteiligten darauf hingewiesen, dass nach § 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG) die Möglichkeit der Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid besteht, wenn der Sachverhalt keine Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweise. Das Gericht hat ferner mitgeteilt, dass es beabsichtige, von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen und den Beteiligten eine Frist zur Stellungnahme von zwei...

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