Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Zahlung von Beiträgen zur freiwilligen Krankenversicherung durch den Insolvenzschuldner im sogenannten Firmenzahlerverfahren. keine Anfechtung wegen vorsätzlicher Gläubigerbenachteiligung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Führt der Arbeitgeber und spätere Insolvenzschuldner Beiträge freiwillig krankenversicherter Arbeitnehmer im sog Firmenzahlerverfahren unter Anrechnung auf das dem Arbeitnehmer auszuzahlende Arbeitsentgelt direkt an die Kranken- und Pflegekasse ab, kann die Beitragsabführung in der Insolvenz des Arbeitgebers nicht wegen vorsätzlicher Gläubigerbenachteiligung gegenüber der Kranken- und Pflegekasse mit der Folge angefochten werden, dass die Beitragsforderung wieder auflebt und die Beiträge nochmals beim Versicherten nachgefordert werden dürfen. Bei der Beitragsabführung im sog Firmenzahlerverfahren fehlt es schon an einer Gläubigerbenachteiligung, wenn die Auszahlung der zur Beitragszahlung verwendeten Entgeltanteile an den Arbeitnehmer nicht angefochten werden könnte. Die Nachforderung der Beiträge durch die Kranken- und Pflegekasse beim Versicherten unter Berufung auf die eigene Kenntnis vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Insolvenzschuldners verstößt gegen Treu und Glauben.

2. Entgegen BGH vom 22.11.2012 - IX ZR 22/12; entgegen LSG Essen vom 22.3.2018 - L 16 KR 520/17; Anschluss an SG Dresden vom 12.2.2014 - S 25 KR 485/12.

 

Tenor

I. Der Bescheid vom 18.10.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.03.2017 wird aufgehoben.

II. Die Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Forderung von Beiträgen zur freiwilligen Krankenversicherung und zur Pflegepflichtversicherung.

Der Kläger war bis zum 06.03.2013 als Vertriebsleiter bei der E. GmbH (AG D., HR B, im Folgenden: "Schuldnerin") beschäftigt. Er verfügte über eine Minderheitsbeteiligung am Stammkapital der Gesellschaft in Höhe von 7 % der Gesellschafteranteile, hatte jedoch keine Geschäftsführerbefugnisse inne.

In der gesetzlichen Krankenversicherung war der Kläger wegen Überschreitung der Jahresarbeitsentgeltgrenze versicherungsfrei und deshalb bei der Beklagten zu 1 freiwillig krankenversichert und bei der Beklagten zu 2 pflegepflichtversichert (im Folgenden für die Beklagten zu 1 und zu 2 einheitlich: "die Beklagte"). Im streitgegenständlichen Beitragszeitraum vom 01.01.2011 bis zum 31.03.2012 führte die Schuldnerin auf Grund einer Vereinbarung mit dem Kläger die Beiträge unter Anrechnung auf das dem Kläger auszuzahlende Arbeitsentgelt im sog. Firmenzahlerverfahren direkt an die Beklagte ab, und zwar für die Monate Januar bis Dezember 2011 monatlich jeweils 575,44 EUR zur Kranken- und 72,39 EUR zur Pflegeversicherung sowie für den Monat März 2012 592,88 EUR zur Kranken- und 74,59 EUR zur Pflegeversicherung, insgesamt also 8.441,43 EUR.

Am 01.03.2013 wurde auf den Antrag der Schuldnerin vom 28.01.2013 über deren Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet (AG D., Az. …), die Eigenverwaltung angeordnet und der Beigeladene zum Sachwalter bestellt.

Mit am 30.09.2016 der Beklagten zugegangener Erklärung vom 14.07.2016 focht der Beigeladene unter anderem die den Kläger betreffenden Beitragszahlungen für den Zeitraum vom 01.01.2011 bis zum 31.03.2012 gegenüber der Beklagten nach § 133 Absatz 1 InsO an und forderte von der Beklagten nach § 143 Absatz 1 Satz 1 InsO die Auskehr der vereinnahmten Beiträge zur Masse. Die Mitarbeiter der Beklagten seien auf Grund wiederholter Rückstände bei der Zahlung des Sozialversicherungsbeitrags, Rücklastschriften und eigener Vollstreckungsandrohungen und -maßnahmen über die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin informiert gewesen, so dass nach § 133 Absatz 1 Satz 2 InsO die Kenntnis der Beklagten vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz der Schuldnerin anzunehmen sei.

Nachdem die Beklagte der Anfechtung zunächst entgegen getreten war, einigten sich der Beigeladene und die Beklagte im Rahmen eines Vergleichs darauf, von der sich ursprünglich auf insgesamt 82.222,93 EUR belaufenden, später auf 80.305,21 EUR reduzierten Anfechtungssumme auf Basis einer Vergleichsquote von 1/2 für Zahlungen aus den Jahren 2010 und 2011 sowie 2/3 für Zahlungen aus dem Jahr 2012 einen Teilbetrag von insgesamt 44.351,26 EUR zur Masse zurückzuzahlen.

Mit Bescheid vom 18.10.20161 forderte die Beklagte den Kläger auf, die Beiträge für die Monate Januar bis Dezember 2011 sowie März 2012 in Höhe von insgesamt 8.441,43 EUR2 in Folge der Anfechtung der von der Schuldnerin abgeführten Beitragszahlungen direkt an sie nachzuentrichten. In einem Telefonat vom 21.10.2016 wies die Beklagte den Kläger ergänzend auf das Urteil des BGH vom 22.11.2012 - IX ZR 22/12 - hin.

Mit seinem gegen die Beitragsnachforderung erhobenen Widerspruch vom 24.10.2016 machte der Kläger geltend, die Beiträge seien lange vor der Insolvenz korrekt entrichtet worden. Es bestehe kein Zusammenhang zwischen den Beiträgen und der Insolvenz. Die Bek...

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