Entscheidungsstichwort (Thema)

Einstweiliger Rechtsschutz. Antrag auf Anordnung der aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Klage. Minderung des Arbeitslosengeld II. Nichterfüllung von Pflichten aus Eingliederungsverwaltungsakt. Nichtteilnahme an einer Eingliederungsmaßnahme. wiederholte Pflichtverletzung. verfassungskonforme Auslegung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Bei Sanktionsfeststellungsbescheiden (Sanktionsbescheiden) nach § 31b Abs 1 S 1 SGB II ist statthafter Hauptsacherechtsbehelf grundsätzlich die isolierte Anfechtungsklage nach § 54 Abs 1 S 1 Alt 1 SGG und statthafter Rechtsbehelf des einstweiligen Rechtsschutzes grundsätzlich der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 86b Abs 1 S 1 Nr 2 SGG, verbunden mit dem Annexantrag auf Aufhebung der Vollziehung nach § 86b Abs 1 S 2 SGG. Dies gilt sowohl dann, wenn bzw soweit eine rechtliche Einheit (Regelungseinheit) mit einer die Sanktion umsetzenden, entweder in dem Sanktionsbescheid oder in einem in engem zeitlichen Zusammenhang mit diesem erlassenen Änderungsbescheid enthaltenen Aufhebungsverfügung nach § 48 Abs 1 SGB X besteht, wobei sich der Eilantrag dann "automatisch" auch gegen die Vollziehbarkeit der Aufhebungsverfügung richtet, als auch dann, wenn bzw soweit von vornherein nur sanktionsbedingt geminderte Leistungen bewilligt worden sind (Fortführung von SG Dortmund vom 2.10.2014 - S 32 AS 1991/14 ER unter Auseinandersetzung mit BSG vom 29.4.2015 - B 14 AS 19/14 R = SozR 4-4200 § 31a Nr 1).

2. Zur erweiternden Auslegung eines Rechtsbehelfs des einstweiligen Rechtsschutzes gegen die Vollziehbarkeit eines Sanktionsbescheides nach §§ 31 Abs 1 S 1 Nr 1 Alt 2, 31a, 31b Abs 1 S 1 SGB II als auch gegen die Vollziehbarkeit des ihm zugrunde liegenden, noch nicht bestandskräftigen Eingliederungsverwaltungsaktes nach § 15 Abs 1 S 6 SGB II gerichtet unter Berücksichtigung des Meistbegünstigungsgrundsatzes sowie zur Frage des Vorliegens eines (Eil-)Rechtsschutzbedürfnisses in dieser Konstellation (Fortführung von SG Dortmund vom 2.10.2014 - S 32 AS 1991/14 ER).

3. Im Rahmen der Prüfung der Rechtmäßigkeit eines Sanktionsbescheides nach § 31 Abs 1 S 1 Nr 1 Alt 2 SGB II findet keine inzidente Prüfung der Rechtmäßigkeit des Eingliederungsverwaltungsaktes nach § 15 Abs 1 S 6 SGB II statt, sondern nur eine inzidente Prüfung seiner Wirksamkeit. Dies gilt sowohl dann, wenn der Eingliederungsverwaltungsakt bestandskräftig ist (unabhängig davon, ob ein Antrag auf Überprüfung gem § 40 Abs 1 SGB II iVm § 44 SGB X gestellt worden ist oder noch gestellt werden könnte), als auch dann, wenn der Eingliederungsverwaltungsakt noch nicht bestandkräftig ist. Für eine solche inzidente Prüfung gibt es weder eine gesetzliche Grundlage noch ein praktisches Bedürfnis (Anschluss (ua) an SG Berlin vom 9.7.2014 - S 205 AS 30970/13; Abgrenzung zu SG Dortmund vom 8.4.2015 - S 35 AS 594/15 ER = info also 2015, 170; entgegen (ua) LSG Celle-Bremen vom 24.11.2015 - L 7 AS 1519/15 B ER).

4. Ein Eingliederungsverwaltungsakt nach § 15 Abs 1 S 6 SGB II erledigt sich nicht schon dann gem § 39 Abs 2 SGB X (durch Zeitablauf), wenn seine Geltungsdauer überschritten ist. Vielmehr ist zusätzlich zu prüfen, ob der Eingliederungsverwaltungsakt Grundlage einer Sanktion war oder noch werden kann, weil in diesem Fall sein Beschwer fortwirkt bzw fortwirken kann. Das Rechtsschutzbedürfnis für eine Klage oder einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gegen einen Eingliederungsverwaltungsakt entfällt nur dann wegen Erledigung, wenn aufgrund des Eingliederungsverwaltungsaktes weder bereits Sanktionen verhängt worden sind noch (nach verbindlicher Zusage des Jobcenters) künftig verhängt werden, oder wenn alle etwaigen aufgrund von Verstößen gegen die im Eingliederungsverwaltungsakt festgesetzten Obliegenheiten verhängten Sanktionen bestandskräftig geworden sind (Anschluss (ua) an LSG Essen vom 29.2.2016 - L 19 AS 1536/15).

5. Auch im Rahmen der Prüfung des Vorliegens eines "wichtigen Grundes" gem § 31 Abs 1 S 2 SGB II findet keine inzidente Prüfung der Rechtmäßigkeit des Eingliederungsverwaltungsaktes bzw der verletzten Pflicht statt (entgegen (ua) LSG Essen vom 14.10.2015 - L 19 AS 1627/15 B ER; LSG Darmstadt vom 13.5.2015 - L 6 AS 134/14).

6. Zum Begriff der Vollziehung, zum Wesen der aufschiebenden Wirkung und zu den Folgen des Bestehens bzw der Anordnung der aufschiebenden Wirkung im Anwendungsbereich des SGG, insbesondere bei feststellenden Verwaltungsakten und Verwaltungsakten in mehrstufigen Verwaltungsverfahren. Hier konkret vor allem zum Zusammenhang zwischen der Vollziehbarkeit eines Eingliederungsverwaltungsaktes und der Vollziehbarkeit eines auf diesem beruhenden Sanktionsbescheides. Während des Schwebezustandes infolge der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs dürfen keine Folgerungen aus dem Verwaltungsakt gezogen werden (Anschluss an BSG vom 11.3.2009 - B 6 KA 15/08 R = SozR 4-2500 § 96 Nr 1 und vom 23.9.1997 - 2 RU 44/96 = SozR 3-1300 § 50 Nr 20). Dies gilt aus verfassungsrechtliche...

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