Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Verletzung der Anhörungspflicht im Widerspruchsverfahren. Heilung durch Nachholung in der mündlichen Verhandlung vor dem SG. Entbehrlichkeit eines förmlichen Verwaltungsverfahrens

 

Leitsatz (amtlich)

Eine fehlende Anhörung wird wirksam nachgeholt und der Verfahrensfehler ist geheilt, wenn in der letzten mündlichen Verhandlung der letzten Tatsacheninstanz den Beteiligten Gelegenheit gegeben wird, sich umfassend zu äußern. Ein formelles Anhörungsverfahren unter Einräumung einer Äußerungsfrist bedarf es nicht (entgegen BSG vom 6.4.2006 - B 7a AL 64/05 R = SGb 2006, 351).

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 09.11.2010; Aktenzeichen B 4 AS 37/09 R)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 14. August 2007 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind im gesamten Verfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen die Aufhebung eines leistungsbewilligenden Bescheides für den Zeitraum vom 1. März 2005 bis zum 31. Juli 2005 und die Rückforderung von 2.525,00 EUR.

Der am 22. Juli 1969 geborene Kläger stellte am 14. Februar 2005 bei der Beklagten einen Antrag auf Leistungen der Grundsicherung nach dem Sozialgesetzbuch, Zweites Buch (SGB II). Dabei gab er an, dass er bis zum 28. Februar 2005 Arbeitslosengeld beziehe. Am 2. März 2005 teilte der Kläger der Agentur für Arbeit mit, dass er seit dem 25. Februar 2005 Krankengeld beziehe.

Mit Bescheid vom 18. April 2005 gewährte die Beklagte dem Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in Höhe von 505,00 EUR monatlich für die Zeit vom 1. März bis zum 31. Juli 2005. Diesen Bescheid hob die Beklagte mit Bescheid vom 14. Juli 2005 unter Hinweis auf § 48 Sozialgesetzbuch, Zehntes Buch (SGB X), wegen des Bezugs von Krankengeld auf. Außerdem forderte sie einen Betrag von 2.525,00 EUR zurück. Der Kläger legte durch seinen Prozessbevollmächtigten mit Schriftsatz vom 27. am 28. Juli 2005 Widerspruch ein mit der Begründung, er habe den Bezug von Krankengeld mitgeteilt. Mit Widerspruchsbescheid vom 31. August 2005 wies die Beklagte den Widerspruch mit der Begründung zurück, der Bescheid vom 18. April 2005 sei gemäß § 45 Abs. 2 SGB X zurückzunehmen, da der Kläger sich nicht auf Vertrauensschutz berufen könne. Er habe die Rechtswidrigkeit des Bescheides infolge grober Fahrlässigkeit nicht erkannt, denn er hätte der dem Bescheid beigefügten Berechnung entnehmen können, dass ab März 2005 keinerlei Einkommen angerechnet worden sei.

Der Kläger hat am 28. September 2005 Klage erhoben und ausgeführt, dass er den Krankengeldbezug der Beklagten mitgeteilt habe und im Übrigen die Leistungen verbraucht seien. Er habe keine Pflicht, die Bescheide unter der Maßgabe zu kontrollieren, ob sämtliche von ihm getätigten Angaben hinreichend durch die Beklagte berücksichtigt bzw. umgesetzt worden seien. Insoweit könne er sich auf Vertrauensschutz berufen.

Der Kläger hat beantragt,

den Bescheid vom 14. Juli 2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 31. August 2005 aufzuheben.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung hat sie sich im Wesentlichen auf den Inhalt der angegriffenen Bescheide berufen und ergänzend ausgeführt, auf Vertrauen könne sich der Kläger gerade nicht berufen, da auch für einen Laien klar erkennbar gewesen sei, dass bei der Berechnung Krankengeld nicht angerechnet worden sei.

Mit Urteil vom 14. August 2007, verkündet am 25. Oktober 2007 und fälschlicherweise unter diesem Datum ergangen, hat das Sozialgericht Schleswig den Bescheid vom 14. Juli 2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 31. August 2005 aufgehoben. Das Urteil ist der Beklagten am 2. Januar 2008 zugestellt worden.

Die Beklagte hat am 23. Januar 2008 Berufung eingelegt und zur Begründung ausgeführt, der Kläger habe die Rechtswidrigkeit des Bewilligungsbescheides zumindest grob fahrlässig nicht gekannt, da er in der mündlichen Verhandlung angegeben habe, den Bescheid überhaupt nicht gelesen zu haben. Das Sozialgericht habe diese Feststellung verfahrensfehlerhaft nicht in das Protokoll der mündlichen Verhandlung aufgenommen. Für die Frage der Fahrlässigkeit sei jedoch entscheidend, inwieweit der Kläger den Inhalt überhaupt zur Kenntnis genommen habe. Es sei herrschende Meinung, dass allein der Umstand, einen Bescheid nicht gelesen zu haben, den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit begründe. Im Übrigen sei ein Bescheid auch im Ganzen durchzusehen. Schließlich hätte der Kläger die Rechtswidrigkeit des Bescheides ohne Mühen erkennen können, da für die Monate März bis Juli 2005 keinerlei Einkommen angerechnet worden sei. Die Nichtanrechnung des Krankengeldes sei leicht erkennbar und für den Kläger augenfällig gewesen. Ein eventuelles Mitverschulden der Behörde sei unerheblich. Auch subjektiv sei der Kläger, der über einen Haupt- und Realschulabschluss sowie eine Ausbildung zum Lageristen verfüge, in der L...

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