2.1 Vertragsverhandlungen (Abs. 1)

2.1.1 Vertragsparteien

 

Rz. 6

Jede potentielle Vertragspartei (Leistungserbringer oder der Träger der Eingliederungshilfe) kann Vertragsverhandlungen initiieren. Dazu muss er die jeweils andere Vertragspartei schriftlich zu Verhandlungen über den Abschluss einer Vereinbarung (Leistungs- und/oder Vergütungsvereinbarung) auffordern. Da nach § 123 Abs. 1 Satz 2 ein Verband, dem der Leistungserbringer angehört, Vertragspartei sein kann, soweit er eine entsprechende Vollmacht nachweist, kann dieser nach Sinn und Zweck des Abs. 1 Satz 1 den Träger der Eingliederungshilfe zu Vertragsverhandlungen auffordern (so auch Freudenberg, in: Jung, SGB XII, § 77 Rz. 7). Soweit Vertragsparteien ihr Interesse bekunden, richten sich Verfahren, Abschluss und Inkrafttreten der Vereinbarungen ausschließlich nach den Vorschriften des Achten Kapitels SGB IX i. d. F. des Art. 1 BTHG.

Abs. 1 Satz 3 stellt die bisherige Rechtspraxis klar, dass die Aufforderung durch den Leistungsträger an einen unbestimmten Kreis von Leistungserbringern gerichtet werden kann. Dies entspricht im Vergaberecht dem Verhandlungsverfahren mit vorherigem Teilnahmewettbewerb. Im Vertragsrecht der Eingliederungshilfe entspricht dies einer Aufforderung, um die für die angestrebte Leistungserbringung die i. S. d. § 124 geeigneten Leistungserbringer ermitteln zu können.

2.1.2 Formelle Anforderungen an eine Aufforderung zu Vertragsverhandlungen

 

Rz. 7

§ 126 enthält zwar für Erstverhandlungen keine Vorgaben für den notwendigen Inhalt der Aufforderung. Diese sollte zumindest den Verhandlungsgegenstand konkretisieren und sich nicht auf den bloßen Wunsch nach einer Verhandlung beschränken, um die Antragsberechtigung an die Schiedsstelle im Konfliktfall auszulösen. Bei einer Aufforderung zum Abschluss einer Folgevereinbarung sind die Verhandlungsgegenstände zwingend zu benennen (Abs. 1 Satz 2), damit die andere Vertragspartei abschätzen kann, welche Teile des bestehenden Vertrages nach dem Willen der auffordernden Vertragspartei Gegenstand der Verhandlung werden sollen.

Das Schriftformerfordernis dient auch dazu, das Verlangen nach Vertragsverhandlungen hinreichend eindeutig und zu Beweiszwecken geeignet zu dokumentieren. Dementsprechend muss es mit der erforderlichen Eindeutigkeit in der Aufforderung zum Ausdruck kommen. So reicht ein bloßes Übersenden von Kalkulationsunterlagen nicht aus (vgl. Freudenberg, in: Jung, SGB XII, § 77 Rz. 12). Zu den Anforderungen an das Gebot der Schriftlichkeit vgl. die Komm. zu § 123 Rz. 20.

Abs. 1 Satz 4 ist eine neue Regelung, die klarstellen soll, dass die Parteien auf Verlangen jeweils geeignete Nachweise zu den Verhandlungsgegenständen vorzulegen haben, damit zeitnah nachvollzogen werden kann, ob insbesondere bei den Leistungserbringern die Voraussetzungen für zielgerichtete Verhandlungen erfüllt sind (vgl. Begründung Regierungsentwurf BTHG, BR-Drs. 428/16 S. 303).

2.2 Konfliktlösung über Schiedsstelle (Abs. 2)

2.2.1 Gründe für die Konfliktlösung über ein Schiedsstellenverfahren

 

Rz. 8

Das übliche Rechtsmittel zur Durchsetzung von Interessen öffentlich-rechtlicher Natur sind Klagen vor den Gerichten, zum Teil mit der Prozessvoraussetzung, dass ein verwaltungsrechtliches Vorverfahren stattgefunden hat. Im Bereich des Einkaufs von Dienstleistungen der Eingliederungshilfe (und Sozialhilfe) hat sich der Gesetzgeber aber für einen anderen Weg entschieden, nämlich der Vorschaltung eines Schiedsstellenverfahrens vor einer gerichtlichen Klärung des Rechtsstreits.

In ihrer Begründung zum Entwurf des § 126 führt die Bundesregierung aus (Begründung Regierungsentwurf BTHG, BR-Drs. 428/16 S. 303): "Durch die Vorschaltung eines Schiedsstellenverfahrens soll zügig ein weitgehender Interessenausgleich zwischen den Verhandlungspartnern erzielt werden, ohne dass es eines zeitaufwendigen Gerichtsverfahrens bedarf. Die Schiedsstelle hat als neutrale Stelle sowohl dem Interesse der Träger der Eingliederungshilfe an einer ausreichenden und kostengünstigen Versorgung der Leistungsberechtigten als auch dem Interesse der Leistungserbringer an der angemessenen Vergütung ihrer Leistungen Rechnung zu tragen. Wie das Bundesverfassungsgericht in einem Beschluss zum Vertragsrecht nach den Vorschriften des Zwölften Buches festgestellt hat, kommt der Übernahme der Kosten aus Mitteln der Sozialhilfe eine erhebliche wirtschaftliche Bedeutung für den Leistungserbringer zu. Entscheidungen der Schiedsstellen zur Vergütung der Leistungen sind daher aufgrund ihres in die Berufsfreiheit eingreifenden Charakters an Artikel 12 Absatz 1 GG zu messen (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 1.9.2008, Az.: 1 BvR 887/08, Rn. 13 = BVerfGK 14 S. 187). Entsprechendes gilt für die Übernahme der Kosten durch die Träger der Eingliederungshilfe. Die Vorschriften des Teils 2 des Neunten Buches bilden die von Verfassungs wegen erforderliche gesetzliche Grundlage zur Festsetzung der Vergütung durch die Schiedsstelle. Es besteht ein überragendes Interesse der Allgemeinheit daran, dass staatliche Mittel wirtschaftlich und sparsam eingesetzt werden. Hieraus folgt für die Festsetzung durch die Schiedsstelle auch nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts ein allgemeinverbindlicher Angemessenheitsmaßstab, der auf den ...

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