Rz. 134

Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Buchst. a vollzieht seit dem 29.12.2016 die Rechtsprechung des BSG nach. In dem maßgeblichen Verfahren unterfielen die Unionsbürger ebenfalls dem Leistungsausschluss des Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 a. F. Sie verfügten zwar nicht über ein Aufenthaltsrecht allein zur Arbeitsuche i. S. dieser Vorschrift. Sie waren dem BSG zufolge jedoch gleichwohl von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ausgeschlossen. Der Gesetzgeber habe es planwidrig unterlassen, auch diejenigen ausdrücklich von den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II auszuschließen, die über keine materielle Freizügigkeitsberechtigung oder kein Aufenthaltsrecht in Deutschland verfügen. Sie seien nach der Entstehungsgeschichte der Ausschlussregelung, ihrem systematischen Zusammenhang und der teleologischen Bedeutung der benannten Vorschrift "Erst-Recht" von diesen Leistungen ausgeschlossen. Den Unionsbürgern stehe keine materielle Freizügigkeitsberechtigung nach dem FreizügG/EU oder ein anderes Aufenthaltsrecht zur Seite. Sie waren insbesondere nicht als Arbeitnehmer, Selbstständige oder wegen der nachgehenden Statuserhaltung bzw. als deren Familienangehörige freizügigkeitsberechtigt. Dem stehe nicht entgegen, dass sie im Besitz einer Freizügigkeitsbescheinigung/EU waren. Diese begründe kein materielles Freizügigkeitsrecht. Der Leistungsausschluss sei nach den Entscheidungen des EuGH in den Sachen "Dano" und "Alimanovic" auch europarechtskonform (BSG, Urteil v. 3.12.2015, B 4 AS 44/15 R). Damit sind diejenigen EU-Bürger (erst recht) von den Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen, die nicht über eine materielle Freizügigkeitsberechtigung oder ein materielles Aufenthaltsrecht verfügen (Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Buchst. a; vgl. BSG, Urteil v. 3.12.2015, B 4 AS 44/15 R), denn der ausdrückliche Leistungsausschluss gilt schon für solche Personen, die sich auf eine materielle Freizügigkeitsberechtigung berufen können.

Das BVerfG hat eine Vorlage im Rechtskreis der Sozialhilfe zum Ausschluss von Sozialleistungen für Ausländer ohne Aufenthaltsrecht als unzulässig zurückgewiesen. Das SG hatte nicht hinreichend dargelegt, dass das geltende Recht nicht so hätte ausgelegt werden können, dass die Leistung vor Bestandskraft der Feststellung des Nichtbestehens von Freizügigkeit nicht ausgeschlossen war (BVerfG, Beschluss v. 26.2.2020, 1 BvL 1/20).

 

Rz. 134a

Für Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Buchst. a ist entscheidend, ob die materiellen Voraussetzungen für die Freizügigkeit nicht vorhanden oder weggefallen sind. Auf eine förmliche Feststellung des Verlustes des Freizügigkeitsrechts kommt es hingegen nicht an.

Der rechtmäßige Aufenthalt soll demgegenüber bestehen, solange nicht ein Rechtsakt feststellt, dass der Antragsteller als Unionsbürger nicht freizügigkeitsberechtigt ist (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 17.3.2022, L 18 AS 232/22 B ER PKH, unter Hinweis auf BSG, Urteil v. 30.1.2013, B 4 AS 54/12 R).

 

Rz. 134b

Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Buchst. a schließt Personen von den Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende aus, die kein Aufenthaltsrecht haben, weil etwa Unionsbürger kein Freizügigkeitsrecht haben oder dieses weggefallen ist. Zuvor hatte das BSG klargestellt, dass nach der Rechtsprechung der für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Senate des BSG das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Aufenthaltsrecht nach dem FreizügG/EU oder den Regelungen des Aufenthaltsgesetzes sozialrechtlich die für einen Leistungsausschluss notwendige positive Feststellung eines Aufenthaltsrechts "allein aus dem Zweck der Arbeitsuche" hindert (BSG, Urteil v. 3.12.2015, B 4 AS 59/13 RUrteil v. 16.12.2015, B 14 AS 18/14 R). Betroffen war ein alleinstehender Grieche, der rd. 3 Monate beschäftigt war und dem später eine Freizügigkeitsbescheinigung ausgestellt wurde (die zwischenzeitlich abgeschafft ist).

 

Rz. 134c

Das SG Düsseldorf hat einem wohnungslosen Unionsbürger, für den ein Daueraufenthaltsrecht im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht abschließend geklärt werden konnte und der in Anbetracht der Corona-Pandemie und geschlossener Grenzen seinerzeit nicht in sein Heimatland zurückkehren konnte, vorläufige existenzsichernde Leistungen nach dem SGB II zugesprochen (Beschluss v. 14.4.2020, S 25 1118/20 ER). In dem zugrunde liegenden Fall war umstritten, ob dem Antragsteller als obdachlosem Unionsbürger ein Daueraufenthaltsrecht-EU zusteht. Wäre dies der Fall, hätte er Zugang zu den Leistungen nach dem SGB II, andernfalls wäre er bei Fehlen eines anderweitigen Aufenthaltsrechts dagegen von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen. Die Sicherung des Existenzminimus mag die herausragende Rolle bei der Entscheidung gespielt haben. Dagegen sind die weiteren Ausführungen, wonach es eine schwierige Rechtsfrage sei, ob die im SGB II vorgesehenen Leistungsausschlüsse für bestimmte Ausländer, etwa für diejenigen ohne Aufenthaltsrecht, insbesondere in Zeiten der SARS-CoV-2-Pandemie mit dem Grundrecht auf Gewährleistung ...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt SGB Office Professional . Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge