Rz. 167

Abs. 7 trifft erstmals nach dem Urteil des BVerfG v. 5.11.2019 zum damaligen Minderungsrecht wieder das geltende Recht verschärfende Minderungsregelungen. Die Einfügung des Abs. 7 mit Wirkung zum 28.3.2024 ist vorrangig fiskalisch bedingt.

 

Rz. 168

Schon seit der vorläufigen Umsetzung des Urteils des BVerfG im Verwaltungsvollzug mit einer Begrenzung der Leistungsminderung auf maximal 30 % des maßgebenden Regelbedarfs auch in Kumulationsfällen waren Fälle in der Praxis aufgetreten, in denen Leistungsberechtigte mit dem Kalkül einer dauerhaften Leistungsminderung in diesem maximalen Umfang weiteren integrationsorientierten Kontakten mit dem Jobcenter eine Absage erteilt haben. Daraus resultiert auch eine sozialpolitisch unerwünschte Wirkung durch den Wegfall jeglicher Handlungsoptionen für die Jobcenter. Selbst Leistungen zur Eingliederung in Arbeit können nicht erbracht werden.

 

Rz. 169

Das BVerfG hatte in seiner Entscheidung v. 5.11.2019 die Minderung jedenfalls des vollen Regelbedarfs als mögliche Handlungsoption für den die Leistung der Grundsicherung erbringenden Staat erachtet, wenn eine zumutbare, die Hilfebedürftigkeit beendende Arbeit durch die leistungsberechtigte Person verweigert wird. Die leistungsberechtigte Person hat es dann willentlich versäumt, die in der eigenen Hand gehaltene Möglichkeit zur Sicherung der Existenz mit Arbeitseinkommen wahrzunehmen. Darin liegt der sozialpolitisch rechtfertigende Hintergrund für die befristete Regelung des Abs. 7.

 

Rz. 170

In diesem Zusammenhang dürfen die Augen nicht davor verschlossen werden, dass angesichts des großen Defizits in der Haushaltsaufstellung 2024 Sparzwänge dafür ausschlaggebend waren, umfassendere Leistungsminderungen durch die Jobcenter bei nachhaltig verweigerter zumutbarer Arbeit zuzulassen, die im Vorfeld der Bürgergeldgesetzgebung noch nachdrücklich durch die Bundesregierung der 20. Legislaturperiode abgelehnt worden waren.

 

Rz. 171

Abs. 7 ist auf 2 Jahre befristet. Die zeitliche Begrenzung ist im Zuge der Koalitionsdiskussionen um Abs. 7 im Vorfeld der Arbeiten des Haushaltsausschusses verabredet worden. Nach Auswertung einer ergebnisoffenen Evaluation der Regelung soll über dessen weiteren Bestand oder eine Ersatzregelung entschieden werden. Dieser Zeitpunkt liegt bei Regelverlauf gesichert nach der nächsten Bundestagswahl. Technisch ist die Befristung nicht in den Wortlaut des Abs. 7 aufgenommen worden, sondern stattdessen eine eigene Norm (§ 86) geschaffen worden, die durch das Zweite Haushaltsfinanzierungsgesetz 2024 sogleich für die Zeit nach Fristablauf aufgehoben wurde. Insofern bedürfte es ggf. einer Aufhebung der Aufhebung und der Befristung, um die Wirksamkeit des Abs. 7 für die Zeit nach der Befristung gesetzestechnisch umzusetzen.

 

Rz. 172

Nach der Gesetzesbegründung zu Abs. 7 (vgl. BT-Drs. 20/9999) sieht das SGB II bei wiederholten Pflichtverletzungen, wie z. B. der Weigerung, eine zumutbare Arbeit aufzunehmen, fortzuführen oder deren Anbahnung zu verhindern, Leistungsminderungen von bis zu 30 % des maßgebenden Regelbedarfes für einen Zeitraum von bis zu 3 Monaten vor. Aus den Jobcentern gibt es demnach Praxisberichte, dass einige wenige Bezieher von Bürgergeld zumutbare Arbeitsaufnahmen beharrlich verweigern und somit bewusst ihre Hilfebedürftigkeit aufrechterhalten bzw. nicht vermindern. Hier bedarf es demzufolge einer Regelung, die insbesondere auch präventiv wirkt, um die Sicherung der menschenwürdigen Existenz insbesondere durch Erzielung von Einkommen in der Verantwortung der Menschen zu belassen.

Der soziale Rechtsstaat sei darauf angewiesen, dass Mittel der Allgemeinheit, die zur Hilfe für deren bedürftige Mitglieder bestimmt sind, nur in Fällen in Anspruch genommen werden, in denen wirkliche Bedürftigkeit vorliegt. Deshalb habe das BVerfG in seinem Urteil v. 5.11.2019 (1 BvL 7/16) entschieden, dass der Staat grundsätzlich Leistungsminderungen zur Durchsetzung von Mitwirkungspflichten einsetzen darf.

Über die mit dem Bürgergeld-Gesetz zum 1.1.2023 in Kraft getretene Neuregelung hinaus habe das BVerfG auch einen vollständigen Wegfall der Leistungen in bestimmten Fallkonstellationen als möglich erachtet: "Wird eine solche tatsächlich existenzsichernde und im Sinne des § 10 SGB II zumutbare Erwerbstätigkeit ohne wichtigen Grund im Sinne des § 31 Abs. 1 Satz 2 willentlich verweigert, obwohl im Verfahren die Möglichkeit bestand, dazu auch etwaige Besonderheiten der persönlichen Situation vorzubringen, die einer Arbeitsaufnahme bei objektiver Betrachtung entgegenstehen könnten, ist daher ein vollständiger Leistungsentzug zu rechtfertigen." (Rz. 209 des Urteils). Diese Möglichkeit wird mit der Regelung des Abs. 7 nunmehr wahrgenommen und gesetzlich umgesetzt. Die mit dem Bürgergeld-Gesetz eingeführte Abschaffung des Vermittlungsvorrangs bleibt demnach unberührt.

Abweichend von der in Abs. 4 Satz 1 geregelten Begrenzung der Minderungshöhe auf 30 % des maßgebenden Regelbedarfs entfällt nach Abs. 7 Satz 1 der Leistungsanspruch i...

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