Rz. 76a

Besuchsfahrten zum Ehegatten oder Lebenspartner

Anders nicht gedeckte und nicht nur einmalige Aufwendungen zum Besuch eines Ehepartners im Ausland können nach Auffassung des BSG (Urteil v. 28.11.2018, B 14 AS 47/17) in Sondersituationen einen Härtefallmehrbedarf begründen. Das trifft auch auf Sondersituationen für nicht nur einmalige Aufwendungen zum Besuch eines nichtehelichen Lebensgefährten zu (LSG Sachsen-Anhalt, Urteil v. 7.7.2020, L 2 AS 346/17).

Ein Härtefallmehrbedarf kann nach dem Urteil des BSG im Revisionsverfahren auch zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen entstehen und ist nicht von vornherein auf die Beziehungspflege zu solchen Personen beschränkt, deren Verhältnis dem Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG unterfällt oder familienrechtlich geregelt ist. Ein Bedarf ist aber nur unabweisbar, wenn ein besonderes Näheverhältnis zu der von der Beziehungs-pflege betroffenen Person besteht. Diese Voraussetzung kann auch erfüllt sein, wenn keine Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft im Sinne des § 7 Abs. 3 Nr. 3 Buchstabe c vorliegt, aber die beiden betroffenen Personen in einer ähnlich engen, exklusiven und gegenüber allen anderen zwischenmenschlichen Beziehungen der leistungsberechtigten Person prioritären Beziehung gelebt haben (BSG, Urteil v. 26.1.2022, B 4 AS 3/31 R). In die Beurteilung, ob ein hinreichendes Näheverhältnis besteht, ist insbesondere die Situation vor Beginn der durch die Inhaftierung verursachten räumlichen Trennung einzubeziehen. Zur Beurteilung der Unabweisbarkeit gehören auch Feststellungen dazu, ob Möglichkeiten zur Kostensenkung bestanden haben. Ist dies nicht der Fall, wären Kosten in Höhe von 79,78 EUR als erheblich im Sinne von Abs. 6 Satz 2 SGB II anzusehen. Sie übersteigen den im Regelbedarf enthaltenen Anteil für Verkehr (im entschiedenen Verfahren) von 25,12 EUR um 54,66 EUR und entsprechen einem Anteil von knapp 14 % am maßgeblichen Regelbedarf von (seinerzeit) 399,00 EUR. Dies liegt über der Erheblichkeitsschwelle, selbst wenn man berücksichtigt, dass darüber hinaus auch sonstige im Regelbedarf für die Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen enthaltene Beträge teilweise für die Fahrtkosten verwendet werden könnten.

Aufwendungen zur Kontaktpflege unter Angehörigen sind der Art nach zwar grundsätzlich ausschließlich aus dem Regelbedarf nach § 20 zu bestreiten.

Dem Grunde nach als besondere Bedarfslage in diesem Sinne anerkannt ist im familiären Kontext die Ausübung des Umgangsrechts getrennt lebender Elternteile mit ihren minderjährigen Kindern. Die Aufrechterhaltung dieser Eltern-Kind-Beziehung hat bereits das BSG der notfalls mit Mitteln der Sozialhilfe zu sichernden menschenwürdigen Lebensführung zugerechnet und als persönliches Bedürfnis des täglichen Lebens angesehen, das – anders als die Beziehungen zur sozialen Umwelt, die mit sachgerechten Maßstäben kaum einzugrenzen seien – demnach nicht unter dem Vorbehalt des Vertretbaren steht. Dem Umfang nach sind die daraus sich ergebenden Ansprüche vorrangig an den Abreden der Eltern zu bemessen; auch existenzsicherungsrechtlich ist maßgebend, wie die Eltern ihre durch Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG geschützte Entscheidung über die Ausübung ihrer Elternverantwortung handhaben.

Dem hat sich das BSG angeschlossen, zunächst gestützt auf § 73 und im Anschluss an die sog. Regelsatz-Entscheidung des BVerfG auf Abs. 6.

Eine solche Bedarfslage kommt bei einer dem Einfluss des zu Besuchenden entzogenen außergewöhnlichen, bei der Bemessung des Regelbedarfs nicht berücksichtigten Situation in Betracht, in der einem Leistungsberechtigten gemessen am personalen Sicherungszweck des verfassungsrechtlich zu gewährleistenden Existenzminimums unter Berücksichtigung der Intensität der konkreten verwandtschaftlichen Beziehung sowie aller weiterer Umstände des Einzelfalls ein Verzicht auf die Begegnung mit dem nahen Angehörigen nicht zugemutet werden kann. Das kann der Fall sein, um die Beziehung in einer ihrer Bedeutung gerecht werdenden Weise aufrechterhalten oder Beistand leisten zu können. Angenommen werden kann das insbesondere bei erheblichen Notlagen oder einer ungewollten – rechtlich oder tatsächlich nicht änderbaren – räumlichen Trennung familienrechtlich nicht getrennt lebender Eheleute, die über längere Zeit anhält und einen als erheblich anzusehenden Wunsch nach kontinuierlicher Begegnung begründet. Ist eine Kommunikation über Brief, Telefon oder Internetdienste nicht möglich oder erscheint sie nachvollziehbar als nicht ausreichend, können danach Notlagen von erheblichem Gewicht oder eine ungewollte und nicht behebbare Trennung naher Angehöriger über einen längeren Zeitraum hinweg einen existenzsicherungsrechtlich beachtlichen Besuchsanlass bilden, wenn dies dem gelebten Verhältnis der Beteiligten und seiner Bedeutung für die personale Existenz des Leistungsberechtigten entspricht; das gilt auch bei Besuchen im Ausland.

Aufenthaltsrechtliche Hindernisse für den Nachzug zu deutschen Staatsangehörigen im Bundesgebiet begründen all...

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