Rz. 87

Abs. 3 bestimmt Freibeträge aus dem Erwerbseinkommen eines erwerbsfähigen Leistungsberechtigten. Sie sollen dazu motivieren, die Erwerbstätigkeit auf bedarfsdeckende Beschäftigungen bzw. Tätigkeiten auszuweiten. Um welche Erwerbstätigkeit es sich dabei handelt, ist irrelevant. Freibeträge sind unabhängig von der Bezeichnung der Tätigkeit, von Sozialversicherungspflicht, auch aus Beamtenverhältnissen heraus oder selbständigen Tätigkeiten zu gewähren. Es muss sich allerdings um eine Erwerbstätigkeit handeln (so auch BSG, Urteil v. 17.2.2015, B 14 AS 1/14 R). Dazu gehört nach der Rechtsprechung nicht das freiwillige soziale Jahr, deshalb kann Abs. 3 auf die Einkünfte aus dem freiwilligen sozialen Jahr nicht angewendet werden (LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil v. 11.3.2015, L 13 AS 10/14). Das gilt auch für die Zeit ab 1.7.2023, nachdem der Gesetzgeber die Bürgergeld-Gesetzgebung durch das Gesetz zur Förderung eines inklusiven Arbeitsmarkts korrigiert und in Abs. 2b klargestellt hat, dass bei der Anwendung des Abs. 2b Satz 1 Nr. 3, und damit nur dann, der Dienst nach dem Bundesfreiwilligendienstgesetz (§ 2 Nr. 4) oder Jugendfreiwilligendienstegesetz (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4) als Erwerbstätigkeit gilt. Im Übrigen sind Einsatz und Verwertung der Arbeitskraft maßgebend.

Auf eine Steuererstattung darf auch kein Erwerbstätigenfreibetrag gewährt werden, selbst wenn es sich um eine Einkommensteuererstattung handelt (BSG, Urteil v. 11.2.2015, B 4 AS 29/14 R, so auch LSG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 6.5.2015, L 19 AS 1394/12).

Die Vorschrift erfasst damit aber nicht den Fall, dass ein als nicht erwerbsfähig geltender Leistungsberechtigter, sei es aufgrund seines Alters (§ 7 Abs. 1 Nr. 1) oder seiner Leistungsfähigkeit (§ 8 Abs. 1), gleichwohl vorübergehend oder dauernd Erwerbseinkünfte erzielt. Nicht erwerbsfähige Personen haben nur einen Leistungsanspruch nach dem SGB II, wenn sie keinen Anspruch auf Leistungen nach dem 4. Kapitel des SGB XII haben und mit einer erwerbsfähigen Person in Bedarfsgemeinschaft leben. Grundsätzlich können daher auch nicht erwerbsfähige Personen über ihren Partner innerhalb der Bedarfsgemeinschaft von dem Freibetrag profitieren, für sie selbst ist er jedoch nach Auffassung des Gesetzgebers nicht erforderlich. Aus der gesetzlichen Konstruktion folgt der Freibetrag nach Abs. 1 Nr. 6 noch für alle Erwerbstätigen, erst Abs. 3 Satz 1 schränkt auf erwerbsfähige Leistungsberechtigte ein. Im Verwaltungswege sollen die Jobcenter gleichwohl die bei Erwerbstätigkeit nach dem Recht der Sozialhilfe anrechnungsfrei bleibenden Teile des Erwerbseinkommens unangetastet lassen (§ 82 Abs. 1 Satz 3 SGB XII). Daher bleibt aus dem Einkommen der nicht erwerbsfähigen Person ein Betrag in Höhe von 30 % anrechnungsfrei, höchstens jedoch ein halber "Eckregelsatz" (BSG, Urteil v. 24.11.2011, B 14 AS 201/10 R). Damit bleiben 2023 im Regelfall 150,60 EUR mtl. anrechnungsfrei, für Beschäftigte in einer Werkstatt für behinderte Menschen beträgt der Freibetrag 1/8 des "Eckregelsatzes" von 502,00 EUR mtl. zuzüglich 25 % des diesen Betrag übersteigenden Betrages. Die Motivation des Abs. 3, Erwerbstätigkeiten zu beflügeln, stimmt damit nicht überein. Wer nicht erwerbsfähig i. S. v. § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 i. V. m. § 8 Abs. 1 ist, kann zwar keinen eigenen Anspruch auf Bürgergeld ohne ein erwerbsfähiges Mitglied in der Bedarfsgemeinschaft erwerben. Damit ist jedoch nicht bestimmt, dass eine solche Person keinerlei Erwerbstätigkeit ausüben kann oder darf. Das Gesetz bestimmt eine Grenze von 3 Stunden täglich, daher können auch die betroffenen Personen jederzeit Erwerbstätigkeiten bis knapp unter 3 Stunden täglich ausüben. Die Realität vor Ort zeigt, dass davon rege Gebrauch gemacht wird. Erst mit 65 Stunden Erwerbstätigkeit monatlich wird die Grenze von 3 Stunden täglich erreicht. Bei einem Mindestlohn von 12,00 EUR je Stunde (seit dem 1.10.2022) wird die Geringfügigkeitsgrenze erst bei einer Arbeitsstundenzahl von über 43,33 Stunden mtl. überschritten. Vor diesem Hintergrund bleibt unverständlich, den Erwerbstätigenfreibetrag auf abstrakt erwerbsfähige Personen zu beschränken. Der Freibetrag selbst gehört nicht zum notwendigen Unterhalt i. S. v. § 850d ZPO (SG Hannover, Urteil v. 7.6.2013, S 31 AS 1756/11). Die Abzweigung von Leistungen nach dem SGB II in Höhe des Freibetrages nach Abs. 2 gemäß § 48 SGB I soll nicht möglich sein, weil sonst der notwendige Unterhalt des Unterhaltsschuldners (§ 850d Abs. 1 Satz 1 ZPO) nicht mehr sichergestellt wäre (SG Trier, Urteil v. 31.1.2014, S 4 AS 89/13). Das SG Chemnitz will Bezieher von Krankengeld nach § 44a SGB V bei Spende von Organen oder Gewebe nicht schlechter stellen als ohne Spende und hat deshalb einen Erwerbstätigenfreibetrag bei Krankengeldbezug zugesprochen (SG Chemnitz, Urteil v. 21.6.2018, S 10 AS 1124/15, Berufung immer noch anhängig Sächs. LSG L 8 AS 1175/18).

Soweit ein nach dem SGB II leistungsberechtigter Bezieher von Bürgergeld nach § 19 Abs. 1 Satz 1 wiederkehrend ...

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