Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Unfallversicherung. Versicherungs- und Beitragspflicht. selbständige Tagesmutter. Tätigkeit in der Wohlfahrtspflege gem § 2 Abs 1 Nr 9 SGB 7. Begriff der Wohlfahrtspflege. keine Versicherungsfreiheit gem § 4 Abs 3 SGB 7

 

Leitsatz (amtlich)

1. Selbständige Tagespflegepersonen üben eine Tätigkeit der Wohlfahrtspflege iS des § 2 Abs 1 Nr 9 SGB 7 aus.

2. Das Wesen der Kindertagespflege rechtfertigt es, diese zur Wohlfahrtspflege zu rechnen. Bei ihr steht - wie bei der Berufsbetreuung, die zur Wohlfahrtspflege zählt (vgl LSG Essen vom 21.5.2003 - L 17 U 54/02 = NZA 2004, 86) das Wohl der aufgrund ihrer Schutzbedürftigkeit zu Betreuenden im Vordergrund.

Für die Wohlfahrtspflege - einschließlich der Kindertagespflege und der Berufsbetreuung - ist typisch, dass Personen betreut werden, die besonderer Fürsorge bedürfen, weil sie aufgrund ihres hohen oder geringen Alters, wegen Krankheit oder Gebrechen bzw. Notlagen Hilfe bedürfen (vgl LSG Essen, L 17 U 54/02 aaO, Rdnr 23).

3. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG kommt es für den Versicherungsschutz nach § 2 Abs 1 Nr 9 SGB 7 (bzw den Vorgängernorm des § 539 Abs 1 Nr 7 Reichsversicherungsordnung) nicht auf die organisatorische Gestaltung, sondern die Zweckbestimmung einer Tätigkeit an (vgl BSG vom 26.1.1988 - 2 RU 23/87 = HV-INFO 1988, 712; vgl BSG vom 26.6.1985 - 2 RU 79/84 = BSGE 58, 210 = SozR 2200 § 539 Nr 111 -, zitiert nach Juris, Rdnr 14; vgl BSG vom 12.3.1974 - 2 RU 7/72 = USK 7426, Kruschinsky, aaO, Rdnr 540a).

4. Auch ist es für den Versicherungsschutz unerheblich, ob die Tätigkeit in der Wohlfahrtspflege gegen Entgelt oder ehrenamtlich ausgeübt wird (vgl BSG vom 26.1.1988, 2 RU 23/87 aaO). Der Versicherungsschutz umfasst alle und gerade die freiberuflich (selbständig) in der Wohlfahrtspflege Tätigen (vgl BSG vom 26.1.1988, 2 RU 23/87 aaO mwN). Dafür spricht auch bereits der Wortlaut des § 2 Abs 1 Nr 9 SGB 7.

 

Orientierungssatz

1. Eine Tagesmutter, die nicht lediglich Kinder eines Auftraggebers (einer Familie), sondern Kinder aus verschiedenen Familien betreut, ist nicht gem § 2 Abs 1 Nr 1 SGB 7 versichert.

2. Nach ständiger Rechtsprechung des BSG (vgl BSG vom 30.1.1963 - 2 RU 35/60 = BSGE 18, 231ff) ist die Aufzählung der in § 4 Abs 3 SGB 7 genannten Tätigkeiten abschließend. Eine entsprechende Anwendung auf Angehörige anderer Berufsgruppen ist nicht möglich.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 31.01.2012; Aktenzeichen B 2 U 3/11 R)

 

Tenor

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 10.02.2009 wird zurückgewiesen.

II. Die Klägerin trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.

III. Die Revision wird zugelassen.

IV. Der Streitwert wird auf 15.000,00 € festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten, ob die Beklagte die als Tagesmutter tätige Klägerin ab 01.01.2005 zu Recht veranlagt hat.

Die Klägerin ist seit 2003 als selbständige Tagesmutter tätig. Sie betreut jeweils fünf Kinder aus verschiedenen Familien. Mit Bescheid vom 16.06.2006 veranlagte die Beklagte die Klägerin ab 01.01.2005 in der Gefahrklasse 2,10. Mit Beitragsbescheid vom selben Tag forderte sie für das Jahr 2005 einen Beitrag in Höhe von 66,15 €. Den Widerspruch der Klägerin vom 10.07.2006 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 28.02.2007 zurück. Das von der Klägerin betriebene Unternehmen gehöre mit Wirkung zum 01.01.2005 der gesetzlichen Unfallversicherung an. Die Kinderbetreuung durch eine Tagespflegeperson diene dem Wohl des Kindes und sichere seine soziale, emotionale, körperliche und geistige Entwicklung. Die Betreuung von schutzbedürftigen Menschen, zu denen außer kranken, behinderten und alten Menschen auch Kinder zählten, sei eine Tätigkeit in der Wohlfahrtspflege im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 9 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII). Wegen der bis Ende 2004 bestehenden Rechtsunsicherheit hinsichtlich der Versicherungs- und Beitragspflicht von Tagespflegepersonen und der erst mit dem Inkrafttreten des Tagesbetreuungsausbaugesetzes (TAG) zum 01.01.2005 beseitigten Rechtsunsicherheit sei als Versicherungsbeginn der 01.01.2005 festzustellen.

Die Klägerin hat ihr Begehren mit der am 02.04.2007 zum Sozialgericht Leipzig (SG) erhobenen Klage weiter verfolgt. Kindern stellten keinesfalls gesundheitlich, sittlich oder wirtschaftlich gefährdete Menschen dar. Daher sei Kinderbetreuung nicht unter den Begriff der Wohlfahrtspflege zu subsumieren. Auch habe die Klägerin durch den Abschluss einer privaten Unfallversicherung bereits hinreichend Vorsorge getroffen. Aus dem TAG und § 23 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Achtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII) lasse sich nicht schlussfolgern, dass eine Versicherungspflicht bestehe, da in der genannten Vorschrift von einer Erstattungsfähigkeit der Beiträge zu “einer„ Unfallversicherung die Rede sei, mithin ein Rückschluss auf die Versicherung gerade in der gesetzlichen Unfallversicherung nicht möglich sei.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 10.02.2009 abgewiesen. Nach § 136 Abs. 1 SGB VII stelle der Unfal...

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