Entscheidungsstichwort (Thema)

Soziales Entschädigungsrecht. Gewaltopfer. Geltendmachung von Entschädigungsansprüchen durch die Mutter für ihren volljährigen behinderten Sohn. höchstpersönlicher Anspruch. sozialgerichtliches Verfahren. keine gewillkürte Prozessstandschaft möglich. Nachweis der Vollmacht bei Vertretung nach § 72 Abs 2 S 2 Nr 2 SGG erforderlich. sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. keine Unterstellung der Vollmacht analog § 73 Abs 6 S 3 SGG. kein mutmaßliches Einverständnis

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der Anspruch nach § 1 OEG ist ein höchstpersönliches Recht und kann auch nur durch die betroffene Person geltend gemacht werden.

2. Eine Mutter kann nicht ohne Nachweis einer entsprechenden Vollmacht Rechte ihres volljährigen Sohnes geltend machen.

3. Das Antragserfordernis des § 1 Abs 1 OEG dient dem Selbstbestimmungsrecht des Geschädigten.

 

Orientierungssatz

Die Behörde braucht im Rahmen eines sozialrechtlichen Verwaltungsverfahrens die Bevollmächtigung der Mutter für ihren behinderten Sohn nicht in entsprechender Anwendung des § 73 Abs 6 S 3 SGG zu unterstellen, wenn ihr die Lebensumstände des Sohnes unbekannt sind.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 28.09.2018; Aktenzeichen B 9 V 22/18 B)

 

Tenor

I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Leipzig vom 26. März 2013 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die gerichtliche Feststellung, dass sie dazu berechtigt sei, ihren Sohn im Verwaltungsverfahren beim Beklagten sowie in dem hier anhängigen Gerichtsverfahren vertreten zu dürfen.

Die 1946 geborene Klägerin beantragte am 11.10.2011 beim Beklagten eine Beschädigtenversorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) für ihren Sohn. Der 1974 geborene Sohn der Klägerin ist von Geburt ab aufgrund einer Cerebralparese behindert. Dieser leide unter dauerhaften Gesundheitsstörungen infolge von Willkürmaßnahmen zu DDR-Zeiten, die auf Verfolgungsmaßnahmen beruhten, die gegen seine Mutter (die Klägerin) gerichtet gewesen seien. Der Antrag wurde von der Klägerin persönlich unterzeichnet mit dem Hinweis, dass sämtliche Post an ihre Adresse zu richten sei.

Im Schreiben vom 02.11.2011 erläuterte der Beklagte der Klägerin, dass der Antrag auf Beschädigtenversorgung entweder vom Betroffenen persönlich zu unterzeichnen sei oder aber eine entsprechende Vollmacht vorzulegen sei, mit welcher eine dritte Person ermächtigt werde, Anträge zu stellen oder ausgewählte Verfahrenshandlungen vorzunehmen. Sofern ein amtlicher Betreuer bestellt sei, genüge die Übersendung der Kopie des Betreuerausweises.

Mit Bescheid vom 15.05.2012 wies der Beklagte den Antrag der Klägerin als unbegründet zurück. Die Einleitung des Verwaltungsverfahrens zur Versorgung des Sohnes der Klägerin nach dem OEG werde abgelehnt. Der Versorgungsverwaltung sei es grundsätzlich verwehrt, von Amts wegen oder auf Antrag eines nicht bevollmächtigten Dritten ein Aufklärungsverfahren nach dem OEG einzuleiten. Dem stehe das Recht des Geschädigten entgegen, über die Offenbarung persönlicher Verhältnisse aus dem unverletzlichen Bereich freier Entfaltung der Persönlichkeit selbst und allein zu bestimmen (BSG, 9a RVG 1/85). Im Falle der Klägerin sei von der höchstpersönlichen oder ermächtigten Antragstellung keine Ausnahme zu machen. Zwar käme die analoge Anwendung des § 73 Abs. 6 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Betracht. Diese Vorschrift sei jedoch nicht zugunsten der Klägerin anzuwenden, da die Klägerin mit ihrem Sohn in keinem gemeinsamen Haushalt lebe und dem Beklagten die familiären Lebensumstände nicht näher bekannt seien. Ferner sei zu berücksichtigen, dass die Klägerin auf die Bitte des Beklagten, eine schriftliche Vollmacht zu übersenden, nicht eingegangen sei. Eine Entscheidung über erhobene Ansprüche des Sohnes der Klägerin außerhalb des gesetzlich vorgeschriebenen Verwaltungsverfahrens sei nicht möglich.

Dem widersprach die Klägerin. Ihr Sohn sei aus gesundheitlichen Gründen an der eigenen Wahrnehmung seiner Rechte gehindert. Der Beklagte sei gehalten, die Bevollmächtigung der Klägerin entsprechend § 73 Abs. 6 Satz 2 SGG zu unterstellen.

Nachdem der Beklagte nochmals mit Schreiben vom 29.05.2012 und vom 20.09.2012 rechtliche Ausführungen zu den Vertretungsbestimmungen darlegte, wies er den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 15.10.2012 als unbegründet zurück.

Hiergegen hat die Klägerin am 15.11.2012 beim Sozialgericht Leipzig (SG) Klage erhoben. Sie klage höchstpersönlich. Der Rechtsbehelf sei gar nicht für ihren Sohn eingelegt worden. Ihr gehe es nicht darum, zugunsten ihres Sohnes Ansprüche nach dem OEG feststellen zu lassen, sondern um die Frage, ob sie als Mutter, die die Vorgänge genau kenne, entsprechend § 73 Abs. 2 SGG wirksam Anträge stellen dürfe.

Ein Verfahren zur Bestellung eines Betreuers für den Sohn ist mit Beschluss des Amtsgerichts Leipzig - Betreuungsgericht - vom 30.10.2012 eing...

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