Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Bestellung eines besonderen Vertreters. nicht prozessfähiger Beteiligter ohne gesetzlichen Vertreter. Wegfall der Prozessunfähigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Anwendbarkeit der Regelung über die Bestellung eines besonderen Vertreters (§ 72 Abs. 1 SGG) neben der Regelung über die Unterbrechung bei Prozessunfähigkeit (§ 202 SGG i.V.m. § 241 ZPO).

 

Tenor

Der Antrag auf Bestellung eines besonderen Vertreters für das anhängige Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

 

Gründe

Der Antrag des Antragstellers, ihm für das anhängige Beschwerdeverfahren einen besonderen Vertreter zu bestellen, ist zulässig, jedoch nicht begründet.

Nach § 72 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) kann der Vorsitzende für einen nicht prozessfähigen Beteiligten ohne gesetzlichen Vertreter bis zum Eintritt eines Vormundes, Betreuers oder Pflegers für das Verfahren einen besonderen Vertreter bestellen, dem alle Rechte, außer dem Empfang von Zahlungen, zustehen. Diese Regelung ist derjenigen in § 57 der Zivilprozessordnung (ZPO), auf die in anderen Verfahrensordnungen verwiesen wird (vgl. z.B. § 62 Abs. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung [VwGO], § 58 Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung [FGO]) ähnlich, geht aber über letztere hinaus.

§ 72 Abs. 1 SGG erfasst zumindest die Fälle, in denen die Prozessunfähigkeit vor der Rechtshängigkeit eingetreten ist, auch wenn die Prozessunfähigkeit erst im Prozess erkannt wird. Ob § 72 Abs. 1 SGG auch dann zur Anwendung kommen kann, wenn die Prozessunfähigkeit erst während eines laufenden Prozesses eintritt, oder ob in diesem Fall ausschließlich die Regelung nach § 202 SGG i.V.m. § 241 ZPO, wonach das Verfahren unterbrochen wird, greift (vgl. Keller/Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz [8. Aufl., 2005], § 72 RdNr. 2; Ulmer, in: Hennig: Sozialgerichtsgesetz [13. Erg.-Lfg., August 2007], § 72 RdNr. 5; Zeihe, Sozialgerichtsgesetz [Stand: 45. Erg.-Lfg., November 2007], § 72 RdNr. 2a), ist höchstrichterliche noch nicht entschieden. Für § 57 ZPO wird verstärkt die Auffassung vertreten, dass diese Regelung analog angewandt werden kann, wenn die Prozessfähigkeit während des laufenden Rechtsstreites wegfällt (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 12. Juli 1995 - 9 W 69/94 - MDR 1996, 198 = JURIS-Dokument Rdnr. 9 ff., m.w.N.; OLG Köln, Beschluss vom 27. Juli 2005 - 19 W 32/05 - JURIS-Dokument Rdnr. 2, m.w.N.; Vollkommer, in: Zöller, Zivilprozessordnung [26. Aufl., 2007], § 57 RdNr. 3; vgl. auch: LAG Niedersachsen, Beschluss vom 22. Oktober 1984 - 4 Ta 31/84 - MDR 1985, 170. A.A.: Hüßtege, in: Thomas/Putzo, Zivilprozessordnung [28. Aufl., 2007], § 57 RdNr. 3).

Vorliegend kann dahingestellt bleiben, ob die vom Antragsteller geltend gemachte Prozessunfähigkeit bereits vor der Anhängigkeit des Beschwerdeverfahrens oder erst danach eingetreten sein könnte und ob in letzterem Fall § 72 Abs. 1 SGG zur Anwendung kommen kann. Denn jedenfalls zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag auf Bestellung eines besonderen Vertreters liegen die Voraussetzungen einer Prozessunfähigkeit des Antragstellers nicht (mehr) vor.

Prozessfähig ist gemäß § 71 Abs. 1 SGG ein Beteiligter, soweit er sich durch Verträge verpflichten kann (ebenso: § 52 ZPO). Damit wird auf die Geschäftsfähigkeit Bezug genommen. Nach § 104 Nr. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) ist geschäftsunfähig, wer sich in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet, sofern nicht der Zustand seiner Natur nach ein vorübergehender ist. Die Voraussetzungen einer Prozessunfähigkeit, auch nur einer partiellen Prozessunfähigkeit für sozialgerichtliche Verfahren, liegen bei dem Antragsteller nach den eingeholten medizinischen Auskünften nicht (mehr) vor (zur Ermittlungspflicht bei gewichtigen Bedenken gegen die Prozessfähigkeit: BSG, Beschluss vom 3. Juli 2003 - B 7 AL 216/02 B - SozR 4-1500 § 72 Nr. 1 Rdnr. 6 = JURIS-Dokument Rdnr. 6, m.w.N.). Die Klinik und Poliklinik für Psychiatrie des Universitätsklinikums L. hat im Krankenhausentlassungsbericht vom 7. Mai 2007 unter anderem angegeben, dass beim Antragsteller neuropsychologisch ein leichtes kognitives Defizit nachzuweisen gewesen sei. Dieses wird als “alters- und bildungsuntypische Einschränkung der Lern- und Gedächtnisleistung bei überdurchschnittlicher Primärintelligenz„ beschrieben. Der behandelnde Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie sowie Akupunktur, Dipl.-Med. S., hat in seinem Schreiben vom 4. Dezember 2007 bei den Befunden unter anderem angegeben: “Psychisch; wach, voll orientiert, [...], keine inhaltlichen oder formalen Denkstörungen [...].„ Nach diesen medizinischen Auskünften sind beim Antragsteller zwar gesundheitliche Einschränkungen gegeben. Diese sind jedoch nicht so weitreichend, dass der Antragsteller geschäftsunfähig und damit im Ergebnis auch prozessunfähig im oben beschriebenen Sinne wäre.

Der Bescheid des Amtes für Familie und Soziales Leipzig - ...

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