Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe. Hilfe zur Pflege. häusliche Pflege. Pflegegeld. Sicherstellung der häuslichen Pflege im Rahmen des Arbeitgebermodells

 

Leitsatz (amtlich)

Auch bei Pflege durch beschäftigte Pflegefachkräfte im Rahmen des Arbeitgebermodells und bei "Rund-um-die-Uhr-Versorgung" ist ein Bedarf nach § 64a Abs 1 SGB 12 nicht ausgeschlossen.

 

Tenor

I. Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Dresden vom 10. Juli 2020 abgeändert. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, der Antragstellerin vorläufig ab Mai 2020 bis zur Entscheidung in der Hauptsache, längstens jedoch bis zum 30. Juni 2021, ein Pflegegeld in Höhe von monatlich 242,67 EUR zu zahlen. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

II. Die Antragsgegnerin trägt die Hälfte der notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin im erstinstanzlichen Verfahren und im Beschwerdeverfahren. Außergerichtliche Kosten der Beigeladenen werden nicht erstattet.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes um die Zahlung von Pflegegeld nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch - Sozialhilfe - (SGB XII).

Die 1984 geborene und bei der Beigeladenen gesetzlich krankenversicherte Antragstellerin leidet u. a. an Muskeldystrophie mit fortschreitender Funktionseinschränkung der Muskulatur und ausgeprägter Beteiligung der Atem- und Herzmuskulatur. Sie wird 24 Stunden am Tag invasiv-heimbeatmet. Von der Antragsgegnerin erhält sie Grundsicherungsleistungen nach dem 4. Kapitel des SGB XII in Höhe von monatlich 1.062,60 EUR. Zudem bezieht sie Pflegegeld nach dem Elften Buch Sozialgesetzbuch - Soziale Pflegeversicherung - (SGB XI) in Höhe von monatlich 728,00 EUR (Pflegegrad 4). Grundlage hierfür bilden das Gutachten des MDK Sachsen zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit vom 28. Juli 2016 und das Schreiben der Techniker Krankenkasse Pflegeversicherung zur Überleitung in den Pflegegrad 4 vom 15. Dezember 2016.

Bis zum 30. November 2016 nahm die Antragstellerin Pflegesachleistungen nach dem SGB XI in Anspruch. Zugleich gewährte die Beigeladene Leistungen der häuslichen Krankenpflege (Behandlungspflege, 24-h-Krankenbeobachtung) unter Anrechnung der auf die Grundpflege entfallenden Zeitanteile im Umfang von 22 Stunden täglich. Daneben bewilligte ihr die Antragsgegnerin, zuletzt mit Bescheid vom 10. Januar 2017, bis zum 30. November 2016 Leistungen der Hilfe zur Pflege im Umfang von 2 Stunden täglich (abzüglich der von der Pflegekasse gewährten Sachleistungen in Höhe eines Betrages von 1.612 EUR) sowie ein um zwei Drittel gekürztes Pflegegeld in Höhe von 242,67 EUR. Zumindest bis zum 31. Dezember 2018 erhielt die Antragstellerin von der Antragsgegnerin Leistungen für ein Assistenzzimmer in Höhe von zuletzt 68,51 EUR monatlich.

Mit Schreiben vom 21. Februar 2016 und 4. August 2016 stellte die Antragstellerin bei der Beigeladenen einen Antrag auf Intensivpflege im Arbeitgebermodell in der Form eines persönlichen Budgets, wobei die Teilbereiche medizinische Behandlungspflege, pflegerische Hilfen, lebenspraktische Begleitung und Freizeit berührt seien. Außerdem benötige sie eine Budgetassistenz. Als möglicherweise beteiligte Leistungsträger wurden die Beigeladene, die Pflegekasse und die Antragsgegnerin benannt. Auf der Grundlage einer mit der Beigeladenen geschlossenen Zielvereinbarung vom 2. November 2016 und des Bescheides vom 25. November 2016 erhielt die Antragstellerin Leistungen der häuslichen Krankenpflege (Behandlungspflege) in der Form des Arbeitgebermodells im Umfang von 22 Stunden täglich als Persönliches Budget in Höhe von monatlich 17.000,00 EUR.

Mit Schreiben vom 20. November 2016, bei der Antragsgegnerin eingegangen am 23. November 2016, beantragte die damalige Betreuerin der Antragstellerin mit Verweis auf dieses Budget „zunächst formlos und fristwahrend" einen Antrag auf ergänzende Leistungen des trägerübergreifenden persönlichen Budgets im Arbeitgebermodell und der Ankündigung, dass eine genaue Aufstellung in den nächsten Tagen erfolgen werde. Diesen Antrag leitete die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 24. November 2016 an die Beigeladene weiter. Mit Schreiben vom 28. November 2016 beantragte die Antragstellerin bei der Antragsgegnerin erneut ergänzende Leistungen im trägerübergreifenden Budget und spezifizierte - wie angekündigt - den Antrag: Sie erhalte 22 Assistenzstunden täglich als medizinische Behandlungspflege durch die Beigeladene. Weil sie jedoch 24 Stunden Behandlungs- und sonstige Pflege und Assistenz benötige, beantrage sie die Übernahme der Kosten für die verbleibenden zwei Stunden täglich sowie für 30 Stunden im Monat für Pflegesituationen, in denen zwei Pflegekräfte notwendig seien. Für bestimmte Situationen, z. B. das tägliche Duschen, mehrmals notwendiger WC-Gang täglich, Trachealkanülenpflege und -wechsel benötige sie zwei Pflegekräfte. Darüber hinaus beantrage sie die ihr durch die notwendige ständige Begleitperson und Assistenz entstehenden Zusatzkosten (Strom-, W...

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