Verfahrensgang

VG Köln (Aktenzeichen 18 K 1850/94)

 

Tenor

Das angefochtene Urteil wird geändert.

Der Beklagte wird unter Aufhebung seines Bescheides vom 5. Oktober 1993 in der Fassung des Widerspruchsbescheides des Oberkreisdirektors des Rhein-Sieg-Kreises vom 18. Februar 1994 verpflichtet, der Klägerin für den Zeitraum vom 10. Mai 1992 bis zum 31. August 1993 Schwerstpflegegeld gemäß § 69 Abs. 4 Satz 2 des Bundessozialhilfegesetzes in der jeweils maßgeblichen Fassung zu bewilligen.

Der Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Hilfe zur Pflege für den Zeitraum vom 10. Mai 1992 bis 31. August 1993.

Die am 10. Mai 1974 geborene Klägerin leidet an einer spinalen Muskelatrophie vom Typ Kugelberg-Welander. Die Folge ist eine schlaffe Lähmung beider Beine, deren selbständiger Gebrauch vollends aufgehoben ist, eine Teillähmung der Arme, eine kyphoskoliotische Verbiegung der Brust- und Lendenwirbelsäule sowie eine Hüftdysplasie. Sie benötigt Pflege „rund um die Uhr” und ist auf die ständige Benutzung eines Rollstuhls angewiesen, in den sie getragen und in dem sie fixiert werden muss. Leistungen der Krankenversicherung gemäß § 57 SGB V a.F. erhielt sie nicht.

Bis zur Aufnahme ihres Studiums in Bonn ab dem 16. Oktober 1993 lebte die Klägerin gemeinsam in einem Haushalt mit ihren Eltern und ihrem im Jahr 1972 geborenen Bruder. Ihre Pflege wurde seit ihrer Geburt von Familienangehörigen, Freunden und Bekannten durchgeführt.

Mit Schreiben vom 9. und 10. September 1993 wandte sich die Mutter der Klägerin, die Zeugin Dr. Lehnertz, an den Beklagten und begehrte für die Klägerin die Bewilligung von Hilfe zur Pflege in Form eines Pflegegeldes für die Zeit ab dem 10. Mai 1992. Sie verwies darauf, bei dem Sozialamt in Bonn erfahren zu haben, dass Hilfe zur Pflege ab Volljährigkeit unabhängig von den Einkommensverhältnissen der Eltern des Hilfe Suchenden bewilligt werde. Dazu im Gegensatz stehe eine Auskunft des Sozialamtes des Beklagten. Bereits im April oder Anfang Mai 1992 habe sie – die Zeugin Dr. Lehnertz – anlässlich einer unterhaltsrechtlichen Angelegenheit einer Mandantin mit Mitarbeitern des Sozialamtes – sie meine, mit der Zeugin Frau Weber – gesprochen. Ihr habe sie erklärt, dass sie eine schwer körperbehinderte Tochter habe, die im Mai 18 Jahre alt werde. Auf ihre Frage, ob ihr ab diesem Zeitpunkt Pflegegeld zustehe und zwar unabhängig vom Einkommen der Eltern, habe sie entweder von der Mitarbeiterin selbst oder von der Person, mit der sie weiterverbunden worden sei – sie meine von letzterer –, die eindeutige Auskunft erhalten, dass der Antrag auf Pflegegeld nicht unabhängig vom Elterneinkommen sei und, wenn der Antrag gestellt werde, sie – die Eltern – gleichzeitig die Vermögensverhältnisse offen legen müssten. Aufgrund dieser Auskunft hätten sie dann davon abgesehen, Pflegegeld ab dem 10. Mai 1992 zu beantragen.

Mit Bescheid vom 5. Oktober 1993 lehnte der Beklagte den Antrag der Klägerin auf Bewilligung von Pflegegeld für die Zeit vom 10. Mai 1992 bis zum 7. September 1993 unter Hinweis darauf ab, dass die Klägerin in diesem in der Vergangenheit liegenden Zeitraum die häusliche Pflege auch ohne Gewährung der Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz in vollem Umfang erhalten habe. Für den Zeitraum vom 1. September 1993 bis zum 15. Oktober 1993 bewilligte er mit Bescheid vom 19. Januar 1994 das begehrte Schwerstpflegegeld, nachdem er eine Stellungnahme des Gesundheitsamtes der Stadt Bonn zum Umfang der Pflegebedürftigkeit der Klägerin eingeholt hatte.

Gegen den Bescheid vom 5. Oktober 1993 legte die Klägerin mit Schreiben vom 11. Oktober 1993 Widerspruch ein, den sie im Wesentlichen wie folgt begründete: Die Auslegung des Beklagten berücksichtige nicht die Vorschrift des § 5 BSHG. Es stehe fest, dass der Beklagte im April oder Anfang Mai, jedenfalls vor dem 10. Mai 1992, dem Datum ihrer Volljährigkeit, von ihrer Hilfebedürftigkeit und von dem Umstand, ab Volljährigkeit Pflegegeld beantragen zu wollen, Kenntnis erhalten habe. Ab diesem Zeitpunkt sei er verpflichtet gewesen, tätig zu werden. Es gehe damit nicht um die rückwirkende Bewilligung von Hilfe zur Pflege, sondern darum, dass ein seinerzeit ausreichend spezifiziert gestellter Antrag noch nicht bearbeitet worden sei. Es habe auch keine Pflicht ihrerseits bestanden, den Beklagten an die Bearbeitung zu erinnern, weil sie sich infolge der unrichtigen Auskunft des Beklagten in einem Irrtum befunden habe.

Mit Widerspruchsbescheid vom 18. Februar 1994 wies der Oberkreisdirektor des R.-S.-Kreises den Widerspruch der Klägerin gegen den Bescheid vom 5. Oktober 1993 als unbegründet zurück. Er führte aus: ...

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