Rz. 37

Nach der Rechtsprechung des BAG[1] bezieht sich der durchzuführende Günstigkeitsvergleich immer nur auf die jeweilige Abweichung von der gesetzlichen Anordnung. Es ist also die konkrete in einem Kollektiv- oder Einzelvertrag enthaltene Regelung mit der entsprechenden gesetzlichen Bestimmung zu vergleichen. Eine Kompensation einer ungünstigen Abweichung mit einer für den Arbeitnehmer günstigen Abweichung vom Gesetz an anderer Stelle erfolgt nicht. Damit ist also ein Einzelvergleich und nicht ein Gesamtvergleich durchzuführen. Diese Auffassung des BAG teilt auch die herrschende Meinung im Schrifttum.[2]

 
Praxis-Beispiel

Arbeitgeber und Arbeitnehmer vereinbaren einzelvertraglich, dass – entgegen § 3 Abs. 1 EFZG – 3 Karenztage gelten sollen, der Arbeitnehmer also erst ab dem 4. Tag Entgeltfortzahlung erhält. Gleichzeitig soll er – über § 3 Abs. 1 EFZG hinaus – einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von 10 Wochen erhalten.

Aus Sicht des Arbeitnehmers ist diese Regelung durchaus interessant, da sich für ihn der Zeitraum, in dem ihm Entgeltfortzahlung zusteht, erheblich verlängert, was insgesamt positiver wiegt als die vereinbarten 3 Karenztage.

Nach der dargelegten Rechtsprechung des BAG ist ein solcher "Gesamtvergleich" jedoch unzulässig: Es kann lediglich jede der beiden Regelungen jeweils getrennt mit dem Gesetz verglichen werden. Danach ist die Vereinbarung von 3 Karenztagen unzulässig.

Ungünstiger wäre eine Regelung etwa auch dann, wenn sie den Entgeltfortzahlungszeitraum verkürzen, dafür aber auf Anzeige- und Nachweispflichten verzichten würde.[3]

Aufgrund der Beschränkung des Verbots in § 12 EFZG auf ungünstigere Regelungen muss eine Abweichung nach Auffassung des BAG[4] allerdings nicht "stets günstiger" als das Gesetz sein. Zulässig ist diese vielmehr auch dann, wenn nach objektiven Maßstäben nicht zweifelsfrei feststellbar ist, dass sie für den Arbeitnehmer ungünstiger ist – sei es, weil es sich um eine "ambivalente" Regelung handelt, bei der es von den Umständen des Einzelfalls abhängt, ob sie sich für den Arbeitnehmer günstiger oder ungünstiger auswirkt; sei es, weil die Regelung neutral ist.[5]

[1] BAG, Urteil v. 22.8.2001, 5 AZR 699/99, NZA 2002, 610, DB 2002, S. 640, AP Nr. 11 zu § 3 EntgeltFG.
[2] ErfK/Reinhard, 23. Aufl. 2023, § 12 EFZG, Rz. 7; KassArbR/Vossen, 2. Aufl. 2000, 2.2, Rz. 407; ausführlich Schmitt/Schmitt, EFZG, 9. Aufl. 2023, § 12 EFZG, Rz. 37 ff. m. w. N.
[3] Knorr/Krasney/v. Creytz, EFZ, Loseblatt, Stand 07/2023, G, S. 206, Rz. 10.
[4] BAG, Urteil v. 6.12.2017, 5 AZR 118/17, AP Nr. 18 zu § 2 EntgeltFG, NZA 2018, 597.
[5] Vgl. auch ErfK/Reinhard, 23. Aufl. 2023, § 12 EFZG, Rz. 7.

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