Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Eingliederungsleistungen. Einstiegsgeld bei Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung. Ermessensausübung. Verdienstobergrenze nach Verwaltungsvorschrift. Ermessensfehlgebrauch. keine Heilung

 

Orientierungssatz

1. Nach § 16 Abs 2 S 2 Nr 5 iVm § 29 Abs 1 SGB 2 aF kann erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, die arbeitslos sind, zur Überwindung der Hilfebedürftigkeit bei Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen oder selbständigen Erwerbstätigkeit ein Einstiegsgeld erbracht werden, wenn dies zur Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt erforderlich ist. Es kann auch gewährt werden, wenn die Hilfebedürftigkeit durch oder nach der Aufnahme der Erwerbstätigkeit entfällt.

2. Sind diese Voraussetzungen gegeben, so hat der Grundsicherungsträger zu entscheiden, ob, für welchen Zeitraum und in welcher Höhe er die Förderung gewährt. Bei dieser Entscheidung handelt es sich um eine Ermessensentscheidung.

3. Die Ausübung von Ermessen nach ermessenslenkenden Verwaltungsvorschriften ist grundsätzlich nicht zu beanstanden. Diese bewirken aber allenfalls eine Selbstbindung der Verwaltung und begründen insoweit einen Anspruch auf Gleichbehandlung. Es unterliegt dann der gerichtlichen Prüfung, ob die Verwaltungsvorschrift sachliche Differenzierungskriterien enthält, und ob sie mit der gesetzlichen Ermächtigung zur Ermessensausübung übereinstimmt.

4. Eine Anwendung von ermessenslenkenden Weisungen darf nicht zu gebundenen Entscheidungen führen. Es muss Raum bleiben für die Ausübung von Ermessen im Einzelfall (vgl BSG vom 6.12.2007 = B 14/7b AS 50/06 R = SozR 4-4200 § 59 Nr 1).

5. Eine ermessensfehlerhafte Entscheidung wegen der Außerachtlassung von wesentlichen Aspekten des Einzelfalls ist einer Heilung iS von § 41 Abs 1 Nr 2 SGB 10 nicht zugänglich. Auch ein Nachschieben von Ermessensgründen im Klageverfahren ist unzulässig.

 

Tenor

Das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 15. Juni 2012 und der Bescheid des Beklagten vom 8. Mai 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. Juli 2007 werden aufgehoben und der Beklagte verpflichtet, über den Antrag der Klägerin auf Gewährung von Einstiegsgeld ab dem 14. März 2007 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu entscheiden.

Der Beklagte hat der Klägerin ihre notwendigen außergerichtlichen Kosten für das erst- und zweitinstanzliche Verfahren zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Einstiegsgeld.

Die 1972 geborene Klägerin bezog gemeinsam mit ihrem 1993 geborenen Sohn als Bedarfsgemeinschaft von dem Beklagten laufende Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Sie übte bis zum 7. März 2007 eine geringfügige Beschäftigung aus, aus der sie im Februar 2007 ein Einkommen iHv 178,85 EUR und im März 2007 iHv 35,77 EUR erzielte. Für den Sohn, der Unterhaltsleistungen erhielt, bezog sie Kindergeld.

Im Februar 2007 bewarb sie sich auf eine Stellenanzeige der Firma Z. Z.-G. GmbH K. (im Weiteren: ZAG). Nach einem Vorstellungsgespräch am 12. März 2007 schloss sie am Folgetag in der ..., Geschäftsstelle W., einen Arbeitsvertrag als "Bürohilfe/Hilfskraft" für eine Vollzeitbeschäftigung mit 35 Wochenstunden.ab. Es waren wechselnde Einsätze bei unterschiedlichen Firmen geplant. Das Bruttoentgelt betrug 7 EUR pro Stunde (Bruttomonatsentgelt bei 20 Arbeitstagen 980 EUR, bei 21 Arbeitstagen 1.029 EUR). Das am 14. März 2007 beginnende Arbeitsverhältnis war zunächst bis zum 30. April 2007 befristet. Die Befristung wurde mehrfach, zuletzt bis zum 7. September 2007 verlängert.

Am 13. März 2007 sprach die Klägerin wegen der Gewährung von Einstiegsgeld beim Beklagten vor. Sie erhielt ein Antragsformular und wurde aufgefordert, dieses ausgefüllt und mit einer Kopie des Arbeitsvertrags nach Erhalt der ersten Gehaltsabrechnung bei dem Beklagten einzureichen. Am Folgetag nahm die Klägerin vertragsgemäß die Tätigkeit auf. Den Antrag reichte sie mit den notwendigen Unterlagen am 20. April 2007 beim Beklagten ein.

Mit Bescheid vom 8. Mai 2007 lehnte der Beklagte den Antrag ab. Das Einstiegsgeld nach § 29 SGB II solle einen zusätzlichen Anreiz für die Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen oder selbstständigen Tätigkeit bieten und sei an die Höhe des erzielten Stundenlohns gebunden. Förderungsfähig seien Beschäftigungsverhältnisse, bei denen Stundenlöhne von bis zu 6,50 EUR brutto erzielt würden. Da sie einen Stundenlohn von 7 EUR erziele, sei die Gewährung von Einstiegsgeld nicht erforderlich.

Den dagegen eingelegten Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 27. Juli 2007 zurück. Zwar erfülle die Klägerin die persönlichen Voraussetzungen. Auch sei die Gewährung von Einstiegsgeld zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt erforderlich, weil damit möglicherweise eine dauerhafte Überwindung der Hilfebedürftigkeit erreicht werden könne. Indes könne es vorliegend nicht gewährt werden. Bei der Entschei...

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