Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Berichtigung einer Kostenentscheidung. Ablehnung der Urteilsberichtigung. Statthaftigkeit der Beschwerde

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Beschwerde gegen einen Beschluss, mit dem eine Urteilsberichtigung abgelehnt wird, ist auch dann statthaft, wenn in der Hauptsache die Berufung der Zulassung bedarf.

2. Die Kostenentscheidung in einem Urteil kann nur dann gem § 138 S 1 SGG berichtigt werden, wenn sie nicht dem Ergebnis der Beratung des Spruchkörpers entspricht. Die Urteilsberichtigung ist kein Mittel zu Änderung einer nachträglich als unrichtig erkannten Entscheidung.

 

Tenor

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

 

Gründe

I.

Die Kläger und Beschwerdeführer (im Folgenden: Kläger) begehren die Berichtigung eines sozialgerichtlichen Urteils.

Die Kläger haben im Jahr 2018 beim Sozialgericht (SG) Halle zwei Klagen erhoben. Sie machten gegen das beklagte Jobcenter Ansprüche auf höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts geltend und wandten sich gegen Rückforderungen. Streitig waren die Leistungszeiträume von Oktober 2016 bis März 2017 (S 10 AS 168/18) und von April bis September 2017 (S 10 AS 169/18). Die Kläger begehrten die Berücksichtigung einer Bruttokaltmiete i.H.v. 495,99 € als Bedarf für Kosten der Unterkunft und Heizung (KdUH). Der Beklagte hatte in den streitgegenständlichen Bescheiden lediglich 391,24 € pro Monat für Oktober 2016 bis März 2017 und 412,48 € pro Monat für April bis September 2017 anerkannt. In der mündlichen Verhandlung am 22. April 2022, in der beide Verfahren (ohne förmliche Verbindung) gemeinsam verhandelt worden sind, hat er ein Teilanerkenntnis dahingehend abgegeben, eine Bruttokaltmiete i.H.v. 476,80 € pro Monat zu berücksichtigen. Dieses Teilanerkenntnis haben die Kläger angenommen. Sodann haben sie beantragt, den Beklagten unter Abänderung der angegriffenen Bescheide über das Teilanerkenntnis hinaus zu verurteilen, ihnen für den streitgegenständlichen Zeitraum Leistungen in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Mit einem wenige Minuten nach Schluss der mündlichen Verhandlung verkündeten Urteil hat das SG die Klagen abgewiesen. Die schriftlich niedergelegte, von den beteiligten Richtern unterschriebene und bei der Verkündung verlesene Urteilsformel lautete hinsichtlich des Kostenpunkts: „Kosten sind nicht zu erstatten.“ Daraufhin hat der Prozessbevollmächtigte der Kläger sogleich beantragt, die Kostenentscheidung dahingehend zu berichtigen, dass der Beklagte 50% der klägerischen Kosten zu erstatten habe. Dies sei angesichts des Teilanerkenntnisses billig und angemessen.

Mit Beschluss vom 1. Juni 2022 hat der Kammervorsitzende, der auch die mündliche Verhandlung geleitet hatte, den Berichtigungsantrag abgelehnt. Voraussetzung der Berichtigung einer Urteilsformel sei, dass sie nicht der tatsächlichen Entscheidung entspricht, bei einem Kollegialgericht also dem Ergebnis der Beratung des Spruchkörpers. Vorliegend möge die Kostenentscheidung falsch sein; das verkündete Urteil sei aber einer Berichtigung nicht zugänglich, weil der Kostentenor dem Beratungsergebnis entspreche. Der Beschluss ist dem Prozessbevollmächtigten der Kläger - ebenso wie das schriftliche Urteil - am 9. Juni 2022 zugestellt worden.

Am 20. Juni 2022 haben die Kläger Beschwerde eingelegt. Der Kostentenor sei offensichtlich rechtswidrig, weil das Gericht im Eifer des Gefechts das Teilanerkenntnis des Beklagten übersehen habe. Der Kostentenor habe sich nur auf die Klageabweisung im Übrigen beziehen sollen, so dass er im Ergebnis insgesamt fehlerhaft und einer Korrektur zugänglich sei.

Der Beklagte hat Gelegenheit erhalten, sich zu der Beschwerde zu äußern.

Am 11. Juli 2022 haben die Kläger wegen der Nichtzulassung der Berufung im Urteil vom 22. April 2022 Nichtzulassungsbeschwerde erhoben.

Der Senat hat die Prozessakte des Klageverfahrens beigezogen.

II.

Die Beschwerde gegen die Ablehnung der Urteilsberichtigung hat keinen Erfolg. Sie ist zulässig, aber nicht begründet.

1. Die Beschwerde ist gemäß § 172 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft. Sie ist insbesondere nicht nach § 172 Abs. 2 SGG ausgeschlossen. Auch der Beschwerdeausschluss des § 319 Abs. 3 Zivilprozessordnung (ZPO) kommt nicht über die Verweisungsregelung des § 202 Satz 1 SGG zur Anwendung, weil die §§ 138, 172 SGG insoweit abschließende Regelungen für das sozialgerichtliche Verfahren enthalten (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Auflage 2020, § 138 Rn. 5).

Der Beschwerde steht auch nicht entgegen, dass die Berufung in der Hauptsache gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 SGG der Zulassung bedarf (vgl. Landessozialgerichts [LSG] Schleswig-Holstein, Beschluss vom 11. August 1980 - L 1 Sb 8/78 - MDR 1980, 1052; Bayerisches LSG, Beschluss vom 8. Februar 2018 - L 7 AS 114/18 B PKH - juris Rn. 18; Keller, a.a.O.). Einen Ausschluss der Beschwerde sieht das Gesetz in solchen Fällen nur für Entscheidungen im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (§ 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG) und für die Ableh...

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