Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Unfallversicherung. Wegeunfalls. sachlicher Zusammenhang. Handlungstendenz. dritter Ort. Angemessenheit der Entfernung. achtmal so lange Wegstrecke als der übliche Fahrweg

 

Leitsatz (amtlich)

Der Weg von einem "dritten Ort" (hier: Wohnung der Freundin) zur Arbeitsstätte ist nicht nach § 8 Abs 2 Nr 1 SGB 7 versichert, wenn die dabei zurückgelegte Wegstrecke mehr als achtmal so lang ist als diejenige des üblichen Weges und der Aufenthalt am dritten Ort allein eigenwirtschaftlich motiviert war.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 11.04.2013; Aktenzeichen B 2 U 359/12 B)

 

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten werden das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 22.07.2010 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob ein vom Kläger erlittener Verkehrsunfall als Arbeitsunfall unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung steht.

Der 1983 geborene Kläger, der als Elektriker bei der Firma S Sch in D -L beschäftigt war, erlitt am 11.02.2009 gegen 6:10 Uhr auf der Landstraße hinter M in Richtung L einen Verkehrsunfall, als er auf einer nicht vom Schnee geräumten glatten Straße mit seinem Pkw ins Schleudern kam und rückwärts gegen einen Baum prallte. Er zog sich dabei Verletzungen im Bereich des 5. Halswirbelkörpers sowie eine Prellung der Brust- und Lendenwirbelsäule und des rechten Unterschenkels zu.

Der Arbeitsplatz des Klägers befand sich bei der Firma S Sch in D -L Er war zum Unfallzeitpunkt in der K Straße 15, W , dem Haus seiner Eltern, polizeilich gemeldet. Dort hatte er ein Zimmer und konnte Bad und Küche mitbenutzen. Am Unfalltag hatte er die Fahrt zur Arbeit von der Wohnung seiner damaligen Freundin in G , S Straße 28, angetreten. Die Entfernung vom Haus seiner Eltern bis zu seiner Arbeitsstätte betrug 6,57 Kilometer bei einer Fahrzeit von ca. 10 Minuten; die Entfernung von der Wohnung seiner ehemaligen Verlobten bis zur Arbeitsstätte betrug 55,02 Kilometer bei einer Fahrzeit von ca. 59 Minuten.

Der Kläger gab gegenüber der Beklagten im März 2009 an, von der Wohnung seiner Verlobten zur Arbeitsstelle gefahren zu sein, wo er übernachtet habe. Dies mache er bereits seit ca. 12 Monaten so. Er übernachte etwa 3- bis 4-mal in der Woche dort.

Mit Bescheid vom 16.04.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheid vom 22.08.2009 lehnte die Beklagte die Gewährung von Entschädigungsleistungen aus Anlass des Unfallereignisses vom 12.02.2009 mit der Begründung ab, es habe sich nicht um einen versicherungspflichtig geschützten Weg zur Arbeit gehandelt. Unter Berücksichtigung der Entfernung der Wohnung der Verlobten zur Arbeitsstätte (55,02 km) und des üblichen Wegs des Klägers zur Arbeitsstätte (6,57 km) sei die Entfernung zwischen Betriebsstätte und Wohnung der Freundin unverhältnismäßig weit gewesen. Der Weg vom dritten Ort sei daher nicht durch die beabsichtigte betriebliche Tätigkeit geprägt, sondern durch die eigenwirtschaftliche Verrichtung am dritten Ort.

Mit der am 21.08.2009 bei Sozialgericht (SG) Koblenz erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt.

Er hat vorgetragen, er habe damals ca. 3 bis 4 Mal pro Woche bei seiner Freundin übernachtet, und zwar über einen Zeitraum von ca. 12 Monaten vor dem Verkehrsunfall hinweg. Er habe die Fahrt nur unternommen, um zu seinem Arbeitsplatz zu gelangen. Bei der zurückgelegten Fahrstrecke habe es sich daher um den üblichen Arbeitsweg gehandelt und nicht um einen Weg vom dritten Ort. Im Übrigen komme auch Versicherungsschutz nach § 8 Abs. 2 Nr. 4 SGB VII in Betracht.

Mit Urteil vom 22.07.2010 hat das SG den angefochtenen Bescheid vom 16.04.209 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.07.2009 aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, das schädigende Ereignis vom 12.02.2009 als Arbeitsunfall festzustellen und zu entschädigen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass sich der Kläger zum Zeitpunkt des erlittenen Verkehrsunfalls auf einem nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII versicherten Weg befunden habe. Der Kläger sei als Arbeitnehmer der Firma S S nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII versichert gewesen. Zu den versicherten Tätigkeiten eines Versicherten zähle nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII das Zurücklegen des mit der nach den §§ 2, 3 und 6 versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit. Die in § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII gebrauchte Formulierung "des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges" kennzeichne den sachlichen Zusammenhang des Weges mit der eigentlichen versicherten Tätigkeit. Dieser bestehe, wenn der Weg wesentlich zu dem Zweck zurückgelegt werde, den Ort der Tätigkeit zu erreichen oder nach deren Beendigung zu verlassen. Maßgebliches Kriterium hierfür sei, ob die anhand objektiver Umstände zu beurteilende Handlungstendenz des Versicherten beim Zurücklegen des Weges darauf gerichtet gewesen sei, die Haupttätigkeit aufzu...

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