Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitslosengeldanspruch. Anwartschaftszeit. sonstiger Versicherungspflichtiger. Pflegeperson. Anwendbarkeit des § 26 Abs 2b SGB 3. unmittelbar vor Beginn der Pflegetätigkeit. einschränkende Anwendung ab dem 1.1.2017

 

Leitsatz (amtlich)

Pflegetätigkeiten iS von § 26 Abs 2b S 1 SGB III idF ab 1.1.2017 sind nur solche, die seit dem 1.1.2017 unmittelbar an eine vorbestehende Versicherungspflicht in der Arbeitslosenversicherung bzw an einen Bezug von Entgeltersatzleistungen nach dem SGB III anschließen (aA LSG Hamburg vom 11.8.2021 - L 2 AL 2/21 = juris RdNr 39).

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 06.06.2023; Aktenzeichen B 11 AL 1/22 R)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 13.04.2021 geändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Der 1959 geborene Kläger begehrt von der Beklagten die Bewilligung von Arbeitslosengeld (Alg) ab dem 04.11.2019.

Der Kläger ist Sohn der 1931 geborenen und am 00.10.2019 verstorbenen Frau F I (im Folgenden: Mutter). Die Mutter erhielt seit dem 01.08.2006 Pflegegeld nach der Pflegestufe I und seit dem 01.10.2008 nach der Pflegestufe II; zuständig hierfür war seit dem 01.08.2006 die IKK-Pflegekasse Nordrhein (später: IKK Pflegekasse classic, im Folgenden: Pflegekasse). Pflegeperson war der Kläger; spätestens seit 2006 war er dort als Pflegekraft bekannt, seit dem 01.10.2008 entrichtete die Pflegekasse im Rahmen des SGB XI Rentenversicherungsbeiträge für ihn. Seit dem 01.01.2017 erhielt die Mutter Leistungen nach dem Pflegegrad 4.

Der Kläger war nach Abschluss seiner Ausbildung zum Dreher annähernd durchgehend in seinem Ausbildungsberuf tätig. Zuletzt war er von 1986 bis 31.07.2007 bei der Firma M als CNC-Dreher und vom 01.08.2007 bis zum 30.06.2008 bei der H-Transfergesellschaft versicherungspflichtig beschäftigt. In der Zeit vom 01.07.2008 bis zum 30.06.2009 bezog er von der Beklagten Alg.

Nach dem Ableben seiner Mutter meldete sich der Kläger am 04.11.2019 mit Wirkung zum 31.10.2019 bei der Beklagten arbeitslos und beantragte die Gewährung von Alg. Die Beklagte bat den Kläger mit Schreiben vom 04.12.2019 und 09.12.2019 um einen Nachweis seiner Krankenkasse über die Pflegezeit bzw. eine Bescheinigung über den Bezug von Entgeltersatzleistungen. Unter dem 12.12.2019 bescheinigte die Pflegekasse, dass der Kläger wegen einer Pflegezeit nach § 3 Abs. 1 Satz 1 PflegeZG oder § 26 Abs. 2b SGB III in der Zeit vom 01.10.2008 bis 27.10.2019 versicherungspflichtig gewesen sei. Telefonisch führte die Pflegekasse gegenüber der Beklagten am 19.12.2019 aus, dass in der Zeit vom 01.10.2018 bis 27.10.2019 keine Beiträge in die Arbeitslosenversicherung abgeführt worden seien. Die Bescheinigung sei falsch ausgefüllt worden. Nachträglich könne auch keine Prüfung erfolgen.

Durch Bescheid vom 19.12.2019 lehnte die Beklagte die Bewilligung von Alg ab. Der Kläger habe die erforderliche Anwartschaftszeit nicht erfüllt, weil er in den letzten zwei Jahren vor dem 04.11.2019 weniger als zwölf Monate versicherungspflichtig gewesen sei.

Dagegen erhob der Kläger Widerspruch. Er habe seine Mutter durchgehend vom 01.03.2006 bis zum 27.10.2019 gepflegt. Trotz der Pflege habe er vom 01.03.2006 bis zum 30.06.2008 arbeiten können. Dann habe er Alg bezogen. Im Anschluss daran habe er aufgrund der hochgradigen Demenz seiner Mutter bis zu deren Tod keine Arbeit mehr aufnehmen können. Durch Widerspruchsbescheid vom 24.01.2020 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Der Kläger habe zwar innerhalb der maßgeblichen Rahmenfrist (vom 04.11.2017 bis zum 03.11.2019) seine zuletzt dem Pflegegrad 4 zugeordnete Mutter gepflegt. Jedoch sei er vor Inkrafttreten des § 26 Abs. 2b SGB III in der ab 01.01.2017 geltenden Fassung nicht versicherungspflichtig gewesen. Versicherungspflicht in der Arbeitslosenversicherung trete nur dann ein, wenn der Betroffene unmittelbar vor Beginn der Leistung als Beschäftigter, als sonstiger Versicherungspflichtiger oder nach § 28a SGB III arbeitslosenversicherungspflichtig gewesen sei oder einen Anspruch auf eine laufende Entgeltersatzleistung nach dem SGB III gehabt habe. Es habe für den Kläger die Möglichkeit bestanden, gemäß § 28a SGB III ein Versicherungspflichtverhältnis auf Antrag zu begründen. Hiervon habe er jedoch keinen Gebrauch gemacht, weshalb er bis unmittelbar vor dem 01.01.2017 nicht in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden habe. Auch habe er keine Entgeltersatzleistung bezogen. Er erfülle daher die Anwartschaftszeit für den Bezug von Alg nicht.

Mit seiner am 27.02.2020 vor dem Sozialgericht Köln erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt. Er hat im Wesentlichen unter Bezugnahme auf sein bisheriges Vorbringen geltend gemacht, nach § 26 Abs. 2b Satz 1 SGB III in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden zu haben, da er bei Aufnahme der Pflege seiner Mutter noch sozial...

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