Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Rücknahme eines Bewilligungsbescheides für die Vergangenheit. Grundsicherung für Arbeitsuchende. Vermögensberücksichtigung. keine Hilfebedürftigkeit bei verschwiegenem Vermögen. Nichtberücksichtigung vorhandener Schulden. keine Zurechnung des Vermögens auf einen fiktiven Verbrauchszeitraum. Einschränkung des Erstattungsbetrages aus Billigkeitsgründen

 

Orientierungssatz

1. Vorhandene Schulden sind für die Berücksichtigung des Vermögens unbeachtlich. Denn im Rahmen einer Bedürftigkeitsprüfung nach dem SGB 2 erfolgt wegen der Subsidiarität der staatlichen Fürsorge grundsätzlich keine Saldierung der Aktiva und Passiva (vgl BSG vom 15.4.2008 - B 14 AS 27/07 R = juris RdNr 44).

2. Vorhandenes Vermögen ist nicht nur so lange zu berücksichtigen, wie mit dem anrechenbaren Vermögen der Bedarf hätte gedeckt werden können. Eine Rechtsgrundlage für die Zurechnung des Vermögens auf einen fiktiven Verbrauchszeitraum existiert nicht (vgl BSG vom 30.7.2008 - B 14 AS 14/08 B = juris RdNr 5).

3. Übersteigt der zu erstattende Betrag das beim Leistungsempfänger im streitbefangenen Zeitraum vorhandene, zu verwertende Vermögen um ein Vielfaches, fehlt es hinsichtlich der Einschränkung des Erstattungsbetrages aus Billigkeitsgründen an einer Rechtsgrundlage, sodass derartige Überlegungen allenfalls im Rahmen einer Ermessensbetätigung zulässig wären. Im Recht des SGB 2 bleibt jedoch durch den Verweis in § 40 Abs 2 Nr 3 SGB 2 auf § 330 Abs 2 SGB 3 für solche Erwägungen kein Raum, weil es sich bei der Rücknahme der Bewilligung um eine gebundene Entscheidung handelt.

4. Eine Korrektur dieses Ergebnisses ist auch nicht durch die Annahme einer besonderen Härte iS des § 12 Abs 3 S 1 Nr 6 Alt 2 SGB 2 möglich, da die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Norm nicht vorliegen.

5. Den damit verbundenen Bedenken, insbesondere im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit, ist nicht auf der Primär-, sondern auf der Sekundärebene bei der Geltendmachung der Forderung durch den Leistungsträger Rechnung zu tragen. § 44 SGB 2 sieht insofern die Möglichkeit eines Erlasses von Ansprüchen durch den Leistungsträger vor, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 25.04.2018; Aktenzeichen B 4 AS 29/17 R)

 

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 11.01.2016 geändert und die Klage abgewiesen.

Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Rücknahme- und Erstattung von Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum von Juni 2006 bis Oktober 2013 iHv insgesamt 31.233,72 EUR. Grund für die Forderung des Beklagten ist vom Kläger bei Erstantragstellung nicht angegebenes Vermögen in Form eines Sparbuchs.

Der am 00.00.1967 geborene, ledige und kinderlose Kläger bezog seit 01.06.2006 (teilweise aufstockende) Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende durch den Beklagten. Bei Erstantragstellung im Mai 2006 bestätigte er, nicht über Vermögen zu verfügen, das den Wert von 4.850 Euro je Person übersteigt. Als Vermögen, über das er verfügen könne, gab er Girokonten, Bargeld und Sparbücher an, ohne jedoch dazu genauere Angaben zu machen. Er legte Kontoauszüge über Termingeld bei der Volksbank E (Kto.-Nr. 000) mit einem Guthaben iHv 2.613,08 EUR (Stand: 31.03.2006) sowie eines Sparkontos mit der Nr. 111 mit einem Guthaben iHv 12,88 EUR (Stand: 30.12.2005) vor. Auf seinem Girokonto bei der Sparkasse E mit der Kto.-Nr. 222 befand sich am 22.05.2006 ein Guthaben von 50,00 EUR. Zusätzlich besaß er ein Kraftfahrzeug, Modell Mazda 323, Baujahr 1993, mit einem selbst geschätzten Restwert von 1.000,00 EUR. Mit seiner Unterschrift bestätigte der Kläger, das Merkblatt "SGB II - Grundsicherung für Arbeitsuchende" erhalten und von seinem Inhalt Kenntnis genommen zu haben.

Tatsächlich verfügte der Kläger zusätzlich über ein Sparbuch bei der Sparkasse E (333), das im Mai 2006 ein Guthaben iHv 10.061,88 EUR und im Oktober 2013 ein Guthaben iHv 10.344,81 EUR aufwies. Insgesamt verfügte der Kläger durchgehend über folgendes Vermögen:

ab Mai 2006: 12.693 EUR

ab August 2006: 13.241 EUR

ab November 2006: 13.259 EUR

ab Februar 2007: 13.735 EUR

ab Mai 2007: 14.145 EUR

ab August 2007: 14.404 EUR

ab November 2007: 14.505 EUR

ab Januar 2008: 14.858 EUR

ab Februar 2008: 14.886 EUR

ab Mai 2008: 15.184 EUR

ab August 2008: 14.718 EUR

ab November 2008: 14.794 EUR

ab Februar 2009: 15.528 EUR

ab Mai 2009: 16.009 EUR

ab August 2009: 15.610 EUR

ab November 2009: 16.563 EUR

ab Februar 2010: 16.196 EUR

ab Mai 2010: 17.120 EUR

ab August 2010: 16.906 EUR

ab November 2010: 17.072 EUR

ab Februar 2011: 17.449 EUR

ab Mai 2011: 18.045 EUR

ab August 2011: 18.604 EUR

ab November 2011: 18.845 EUR

ab Februar 2012: 16.894 EUR

ab Mai 2012: 16.942 EUR

ab August 2012: 17.458 EUR

ab November 2012: 17.619 EUR

ab Februar 2013: 18.893 EUR

ab Mai 2013: 17.706 EUR

ab August 2013 bis Oktober 2013: 18.491 EUR

Während des Leistung...

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