Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe. Nothilfe. Erstattungsanspruch eines Krankenhausträgers wegen stationärer Krankenhausbehandlung. Abgrenzung zum Leistungsanspruch des Hilfebedürftigen. Kenntnis des Sozialhilfeträgers von den Leistungsvoraussetzungen. Hilfen zur Gesundheit. Geltendmachung von Ansprüchen des Hilfebedürftigen in Prozessstandschaft

 

Orientierungssatz

1. Ein Nothelferanspruch nach § 25 S 1 SGB 12 besteht in Abgrenzung zum Anspruch des Hilfebedürftigen nur, solange der Sozialhilfeträger keine Kenntnis vom Leistungsfall hat und ein Anspruch des Hilfebedürftigen gegen den Sozialhilfeträger (allein) deshalb nicht entstanden ist (§ 18 Abs 1 SGB 12). Die Kenntnis des Sozialhilfeträgers bildet die Zäsur für die sich gegenseitig ausschließenden Ansprüche des Nothelfers und des Hilfebedürftigen (vgl BSG vom 23.8.2013 - B 8 SO 19/12 R = BSGE 114, 161 = SozR 4-5910 § 121 Nr 1, RdNr 18).

2. Für die Annahme der Kenntnis ist es ausreichend (wenn auch erforderlich), dass die Notwendigkeit der Hilfe dargetan oder auf sonstige Weise erkennbar ist, damit der Sozialhilfeträger ggf in die weitere Sachverhaltsaufklärung eintreten kann (vgl BSG vom 20.4.2016 - B 8 SO 5/15 R = BSGE 121, 139 = SozR 4-3500 § 18 Nr 3, RdNr 11 und vom 26.8.2008 - B 8/9b SO 18/07 R = SozR 4-3500 § 18 Nr 1 RdNr 23); die Kenntnis wird dabei durch die positive Kenntnis vom spezifischen Bedarfsfall vermittelt, nicht erst durch den konkreten finanziellen Bedarf (vgl BSG vom 28.8.2018 - B 8 SO 9/17 R = BSGE 126, 210 = SozR 4-3500 § 18 Nr 4, RdNr 18).

3. Eine gewillkürte Prozessstandschaft setzt grundsätzlich voraus, dass das geltend gemachte Recht übertragbar ist.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 06.10.2022; Aktenzeichen B 8 SO 2/21 R)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Duisburg vom 12.01.2021 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

Die Streitwertfestsetzung des Sozialgerichts wird aufgehoben.

 

Tatbestand

Die Klägerin beansprucht die Übernahme der Kosten für eine notfallmäßige Krankenhausbehandlung nach dem Zwölften Buches Sozialgesetzbuch - Sozialhilfe (SGB XII).

Die Klägerin ist Trägerin eines Krankenhauses im Stadtgebiet der Beklagten. Am Montag, dem 28.01.2019, um 01:22 Uhr wurde in diesem Krankenhaus Frau U A (eine bulgarische Staatsangehörige, *00.00.1974; fortan: Patientin) unter der Diagnose einer benignen essentiellen Hypertonie mit Angabe einer hypertensiven Krise (ICD-10: I10.01) notfallmäßig stationär aufgenommen. Mit Fax von 02:01 Uhr desselben Tages beantragte die Klägerin die Übernahme der Kosten der stationären Behandlung bei der Beklagten; dem Antrag beigefügt war eine in kyrillischer Schrift verfasste und von der Patientin unterschriebene Kostensicherungsvereinbarung. Am 30.01.2019 wurde die Patientin entlassen.

Die Beklagte wandte sich in der Folge schriftlich an die Patientin wie auch an die Klägerin und bat um persönliche Vorsprache bzw. um Vorlage von Nachweisen zur Hilfebedürftigkeit und zum Krankenversicherungsschutz der Patientin (Mitwirkungsaufforderungen vom 20.03.2019). Sodann versagte sie die Gewährung von Leistungen der Hilfe zur Gesundheit sowohl gegenüber der Patientin als auch gegenüber der Klägerin, weil diese ihren jeweiligen Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen seien (Bescheide vom 30.04.2019). Darüber hinaus lehnte die Beklagte einen Anspruch der Klägerin auf Übernahme der Kosten für die stationäre Behandlung als Nothelferin ab. Eine Klärung der Angelegenheit sei nicht möglich, weil die Patientin unter der seinerzeit angegebenen Anschrift unbekannt und in ihrem Stadtgebiet nicht gemeldet sei; das Risiko der Unaufklärbarkeit des Sachverhalts gehe zulasten des Nothelfers (weiterer Bescheid vom 30.04.2019).

Die Klägerin erhob - ausdrücklich auch im Namen der Patientin - Widerspruch gegen die "Ablehnungsbescheide" vom 30.04.2019. Diesen wies die Beklagte nach Beteiligung sozial erfahrener Dritter mit jeweils einem an die Klägerin und einem an die Patientin gerichteten Widerspruchsbescheid zurück. Gegenüber der Klägerin führte sie aus, obwohl die Aufklärung des Sachverhaltes nicht im Interessenbereich des Sozialhilfeträgers liege, habe sie umfangreiche Ermittlungen angestellt, um die damaligen wirtschaftlichen Verhältnisse der Patientin festzustellen. Eine Klärung der Hilfebedürftigkeit sei aufgrund der Unerreichbarkeit der Patientin jedoch nicht möglich gewesen. Dass die Behandlung der Patientin aufgrund Eilbedürftigkeit unabweisbar und eine vorherige Antragstellung unmöglich gewesen sei, bestreite sie nicht. Allerdings könnten die Kosten nur im Falle eines Leistungsanspruchs übernommen werden und dieser Anspruch sei bisher nicht nachgewiesen (Widerspruchsbescheid vom 10.07.2019). Zum für die Patientin durch die "eventuell" bevollmächtigte Klägerin erhobenen Widerspruch führte die Beklagte aus, die Mitwirkungsaufforderung habe der Patientin von der Post zugestellt werden können, es sei jedoch k...

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