Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe. Eingliederungshilfe. Hilfe zur schulischen Ausbildung für einen angemessenen Beruf. Kostenübernahme für Gebärdendolmetscher und Mitschreibhilfen. angemessener Beruf. Studium der Druck- und Medientechnologie. keine Verweisung auf eine abgeschlossene Berufsausbildung. sozialgerichtliches Verfahren. Klagebegehren nach vorläufiger Leistung aufgrund Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren. Verzicht auf Rückforderung der Leistungen

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein mit der Klage geltend gemachter Anspruch auf Übernahme von Kosten für die Inanspruchnahme von Dienstleistungen im Wege der Eingliederungshilfe ist nach vorläufiger Kostenübernahme aufgrund einer Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutz auf eine Geldleistung in Gestalt des Verzichts auf die Rückforderung der vorläufig erbrachten Leistungen gerichtet.

2. Für die Frage, ob ein Hochschulstudium nach einer erfolgreichen betrieblichen Ausbildung und Berufsausübung als Ausbildung für einen "angemessenen Beruf" iS von § 54 Abs 1 S 1 Nr 2 SGB 12 zu werten und iS von § 13 Abs 2 Nr 2 EinglHV (juris: BSHG§47V) erforderlich ist, kommt es unter Berücksichtigung der individuellen Verhältnisse des behinderten Menschen im Einzelfall darauf an, ob auch ein nichtbehinderter Mensch in der Lage des behinderten Menschen diesen Ausbildungsweg eingeschlagen hätte.

3. Zur Übernahme von Kosten für Gebärdendolmetscher und Mitschreibkräfte aus den Mitteln der Sozialhilfe zugunsten einer gehörlosen Studentin, die bereits über eine abgeschlossene Berufsausbildung verfügt und im Ausbildungsberuf mehrere Jahre tätig war.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 20.04.2016; Aktenzeichen B 8 SO 20/14 R)

 

Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 28.07.2011 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 04.11.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.02.2010 verurteilt wird, die durch Beauftragung von Gebärdendolmetschern und Mitschreibkräften im Zeitraum vom 20.05.2010 bis zum 22.07.2010 entstandenen und vorläufig übernommenen Kosten nach Maßgabe des am 27.03.2014 abgeschlossenen Vergleichs endgültig zu tragen.

Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin auch im Berufungsverfahren.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten im Berufungsverfahren darüber, ob der Beklagte der Klägerin Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) für die Inanspruchnahme von Gebärdensprachdolmetschern und studentischen Mitschreibhilfen im Rahmen eine Hochschulstudiums erbringen muss.

Die im April 1979 geborene Klägerin ist seit ihrer Geburt gehörlos. Sie ist als schwerbehinderter Mensch mit einem Grad der Behinderung von 100 mit den Merkzeichen "RF" und "Gl" anerkannt. Im Jahr 2000 erwarb sie am S Berufskolleg für Hörgeschädigte in F die allgemeine Hochschulreife mit einem Durchschnitt von 2,9. Anschließend absolvierte sie eine Ausbildung zur Mediengestalterin für Digital- und Printmedien - Mediendesign -, die sie 2003 ausweislich des Prüfungszeugnisses der Industrie- und Handelskammer vom 03.07.2003 mit dem Gesamtergebnis "befriedigend" beendete. Beim Berufsschulabschluss erreichte sie laut Zeugnis des Berufskollegs für Hörgeschädigte die Durchschnittsnote 1,8. Im Anschluss an ihre Berufsausbildung war die Klägerin in ihrem Ausbildungsbetrieb bis September 2009 als angestellte Mediengestalterin in Vollzeit versicherungspflichtig beschäftigt. Ihr monatliches Bruttogehalt betrug zuletzt 1.850,- Euro. Nach Abzug von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen ergaben sich 1.286,51 Euro.

Zum Wintersemester 2009/2010, d.h. zum 01.10.2009, schrieb sich die Klägerin für das Studium der Druck- und Medientechnologie an der Universität X mit dem angestrebten Abschluss Bachelor ein. Seit Dezember 2009 geht sie einer versicherungspflichtigen Teilzeitbeschäftigung als Werkstudentin bei ihrem früheren Arbeitgeber nach. Mit dem Entgelt aus dieser Tätigkeit bestreitet sie seitdem ihren Lebensunterhalt. Neben einer Hilfe für Gehörlose, die ihr vom Beklagten nach dem Gesetz für Blinde und Gehörlose (GHBG) des Landes Nordrhein-Westfalen in Höhe von 77,- Euro monatlich gezahlt wird, verfügt sie über keine weiteren laufenden Einnahmen.

Mit Schreiben vom 05.10.2009 beantragte die Klägerin bei dem Beklagten Studienhilfen im Rahmen der Eingliederungshilfe zur Durchführung des Studiums in Form von Gebärdensprachdolmetscher, studentische Mitschreibkräfte und Tutoren. Aus einem beigefügten Stundenplan ergaben sich für das erste Semester Lehrveranstaltungen im Umfang von 16 Semesterwochenstunden. Die Klägerin machte für insgesamt 16 Stunden Leistungen für Gebärdensprachdolmetscher in Doppelbesetzung geltend, zudem für alle Veranstaltungen studentische Mitschreibkräfte. Außerdem benötige sie zur Vor- und Nachbereitung sowie zur Vorbereitung auf Prüfungen einen qualifizierten Tutor. Diesen benötige sie nicht nur in der Vorlesungszeit, so...

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