Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Rentenversicherung. Vormerkung polnischer Versicherungszeiten. Anwendbarkeit des RV/UVAbk POL. Wohnort. gewöhnlicher Aufenthalt. Aufenthaltsstatus. Duldung

 

Orientierungssatz

Zur Bestimmung des Wohnortbegriffes iS des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über Soziale Sicherheit (juris: SozSichAbk POL) ist wegen des ausdrücklichen Bezuges auf die Bundesrepublik davon auszugehen ist, dass auf den Rechtsbegriff des gewöhnlichen Aufenthaltes zu verweisen ist, wie er in § 30 Abs 3 S 2 SGB 1 umschrieben wird. Ist hierbei die ausländerrechtliche Aufenthaltsposition auf Beendigung des Aufenthalts im Inland angelegt, steht dies der Annahme eines gewöhnlichen Aufenthalts trotz des faktisch andauernden Verbleibens und eines entsprechenden Bleibewillens entgegen (vgl BSG vom 25.3.1998 - B 5 RJ 22/96 R).

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 10.12.2013; Aktenzeichen B 13 R 9/13 R)

 

Tenor

Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 07.03.2012 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Vormerkung ihrer polnischen rentenrechtlichen Zeiten in der deutschen Rentenversicherung nach Maßgabe des deutsch-polnischen Sozialversicherungsabkommens vom 09.10.1975 (DPSVA 1975).

Die Klägerin ist am 00.00.1955 in Polen geboren. Ihr Ehemann befand sich bereits seit ca. einem halben Jahr in der Bundesrepublik Deutschland, als sie mit dem gemeinsamen Sohn (geb. 1979) am 07.06.1990 in die Bundesrepublik Deutschland einreiste. Die Familie bewohnte sodann gemeinsam eine Wohnung in E. Im Zeitraum ab 12.06.1990 stellte die Ausländerbehörde der Klägerin jeweils befristete Duldungen aus. Vom 04.04.1997 bis 15.04.2005 war die Klägerin im Besitz einer Aufenthaltsbefugnis. Ab dem 04.04.2005 verfügte sie über eine (unbefristete) Freizügigkeitsbescheinigung. Ab 30.04.2009 erhielt die Klägerin die deutsche Staatsbürgerschaft. Eine Spätaussiedlerbescheinigung oder ein Vertriebenenausweis liegen nicht vor.

Am 20.03.2010 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Klärung ihres Versicherungskontos. Dabei gab sie auch in Polen zurückgelegte Beitragszeiten an.

Mit Bescheid vom 28.03.2011 stellte die Beklagte nach § 149 Abs. 5 Sozialgesetzbuch, Sechstes Buch (SGB VI) die in dem beigefügten Versicherungsverlauf enthaltenen Daten, die länger als sechs Kalenderjahre zurückliegen, also die Zeiten bis 31.12.2004, verbindlich fest. Die in Polen zurückgelegten Zeiten vom 04.10.1974 bis 28.02.1976, vom 10.04.1976 bis 27.11.1978 und vom 07.03.1979 bis 31.05.1990 könnten nicht als Beitrags- bzw. Beschäftigungszeit in der deutschen Rentenversicherung vorgemerkt werden, weil die persönlichen Voraussetzungen des § 1 FRG (Anerkennung als Vertriebener, Spätaussiedler) nicht vorlägen. Die Klägerin habe ihren gewöhnlichen Aufenthalt erst nach dem 31.12.1990 nach Deutschland verlegt. Die Anwendung des DPSVA 1975 sei deshalb ausgeschlossen (Art. 8 Abs. 1 VO (EG) Nr. 883/2004, Art. 27 Abs. 2-4 des deutsch-polnischen Sozialversicherungsabkommen vom 08.12.1990 - DPSVA 1990). Ergänzend führte die Beklagte aus, dass die in Polen zurückgelegten Versicherungszeiten nach den Regelungen der VO (EG) Nr. 883/2004 und VO (EG) Nr. 987/2009 berücksichtigt würden.

Dagegen erhob die Klägerin Widerspruch. Sie habe bereits im Jahr 1990 ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland begründet. Ihr Sohn habe ab dem 01.08.1990 die Schule in E. besucht. Der Mietvertrag zu der von ihrem Mann bereits angemieteten Wohnung sei wegen ihres Zuzuges mit Datum vom 24.06.1990 zum 01.07.1990 geändert worden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 16.06.2011 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Um eine Rentenleistung unter Anwendung des DPSVA 1975 aus der deutschen Rentenversicherung erhalten zu können, müssten Antragsteller u.a. bis 31.12.1990 (in Ausnahmefällen bis 30.06.1991) ihren Wohnort in Deutschland begründet und beibehalten haben (Art. 27 DPSVA 1990). Art. 1 Nr. 2 DPSVA 1975 definiere, was die Begriffe "Wohnort" oder "Wohnen" bedeuten würden. Für die Bundesrepublik Deutschland sei darunter der "Ort des gewöhnlichen Aufenthaltes" zu verstehen. Nach Art. 1 a des Zustimmungsgesetzes zum DPSVA 1975 erfordere der gewöhnliche Aufenthalt einen "unbefristet rechtmäßigen" Aufenthalt. Diese Formulierung sei zum 01.07.1990 klarstellend im Zustimmungsgesetz aufgenommen worden, um unberechtigten, vom Abkommen nicht gewollten Ansprüchen aus der deutschen Rentenversicherung entgegenzuwirken. Auch das Bundessozialgericht fordere zusätzlich zu dem auf Dauer angelegten tatsächlichen Verweilen die Rechtmäßigkeit des Aufenthaltes. Da ein Ausländer nach § 12 Abs. 1 Ausländergesetz (AuslG) in der bis zum 31.12.1990 geltenden Fassung und nach § 42 Abs. 1 AuslG in der ab 01.01.1991 geltenden Fassung grundsätzlich zur Ausreise verpflichtet sei, sei sein Aufenthalt nur dann zuverlässig dauerhaft und damit ein gewöhnlicher Aufenthalt, wenn er auf einem Aufenthaltstite...

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