Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Antragserfordernis. Anforderungen an die Wirksamkeit eines Antrags per Email. Beweislast für den Zugang des elektronischen Antrags. Beweislastverteilung

 

Orientierungssatz

1. Der Antrag auf Leistungen der Grundsicherung nach § 37 SGB 2 ist an keine Form gebunden. Er kann deshalb mündlich, fernmündlich und per Email gestellt werden. Eine eigenhändige Unterschrift ist nicht erforderlich.

2. Die Antragstellung nach § 37 SGB 2 wird durch Eingang der Email (mit der auf eine Leistungsgewährung gerichteten Willenserklärung) im Machtbereich des Grundsicherungsträgers bewirkt.

3. Der Antragsteller trägt die Beweislast für den Zugang des Antrags, dh der abrufbaren Speicherung der Email im elektronischen Postfach des Grundsicherungsträgers. Lediglich der Nachweis des Versendens wird durch Vorlage des Ausdrucks der Sendebestätigung mit korrekter Angabe der Email-Adresse des Grundsicherungsträgers erbracht.

4. Hat der Antragsteller bei der Ermittlung seiner Email von der Funktion "Eingangsbestätigung" bzw "Lesebestätigung" keinen Gebrauch gemacht und kann er infolgedessen durch Vorlage seines Sendeprotokolls weder den Vollbeweis noch den Anscheinsbeweis für die Speicherung seiner Email auf dem Empfangsserver des Grundsicherungsträgers erbringen, so kann sich der Grundsicherungsträger nicht auf bloßes Bestreiten des Zugangs beschränken.

5. Er hat zur Widerlegung der individuellen Wirkung des Sendeberichts nachvollziehbar darzulegen, warum eine Speicherung der an ihn abgesandten elektronischen Willenserklärung in seiner Empfangseinrichtung nicht erfolgt ist bzw aus welchen Gründen er dies nicht darlegen kann.

6. Werden Emails auf dem Server des Grundsicherungsträgers erst nach sechs Monaten gelöscht und hat der Leistungsträger vor Ablauf dieses Zeitraums nach gesendeter Email weder den Eingang der behaupteten Email überprüft noch das hierzu seinerzeit noch zur Verfügung stehende Datenmaterial gesichert, so hat er seiner Darlegungslast nicht genügt.

7. Die sich aus diesem Unterlassen ergebenden Beweisnachteile hat der Leistungsträger zu tragen. Damit ist der Antragsteller so gestellt, als habe er seiner primären Beweislast genügt.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 11.07.2019; Aktenzeichen B 14 AS 51/18 R)

 

Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 17.01.2017 wird zurückgewiesen mit der Maßgabe, dass der Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 16.06.2015 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 07.10.2015 verurteilt wird, an den Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes für Januar 2015 zu erbringen.

Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers auch im Berufungsverfahren.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Beklagte wendet sich gegen die Verurteilung zur Bewilligung von Alg II für Januar 2015 an den Kläger.

Der im Jahr 1983 geborene Kläger wohnt mit seiner Ehefrau und dem gemeinsamen, 2012 geborenen Sohn in C. Er stand im streitigen Zeitraum in einer als Pendler in I ausgeübten Vollzeitbeschäftigung, für die er eine Nettovergütung in Höhe von ca. 1.800,00 EUR monatlich erhielt.

Im Januar 2015 überwies der Arbeitgeber aufgrund technischer Probleme das Arbeitsentgelt für Januar 2015 nicht wie vertraglich vereinbart zum Monatsende auf das Konto des Klägers. Dies bemerkte der Kläger in den Abendstunden am Freitag, dem 30.01.2015. Daraufhin sandte der Kläger am selben Tag um 20:08 Uhr/ 20:10 Uhr von seiner E-Mail-Adresse Bxx@googlemail.com eine E-Mail an die Adresse des Beklagten "jobcenter-C@jobcenter-ge.de" ab. In der E-Mail beantragte der Kläger für seine Bedarfsgemeinschaft ALG II. Die vom Kläger verwandte E-Mail-Adresse veröffentlichte der Beklagte auf der von ihm unterhaltenen Webseite als Kontaktmöglichkeit neben der Nennung telefonischer Servicezeiten und der Öffnungszeiten, ein Ausdruck der E-Mail erfolgte beim Beklagten nicht.

Die Entgeltzahlung für Januar 2015 floss dem Kläger am 09.02.2015 i.H.v. 1.800,00 EUR zu.

Am 04.03.2015 erinnerte der Kläger den Beklagten per E-Mail an seine E-Mail vom 30.01.2015. Der E-Mail war ein Ausdruck des Textes der E-Mail vom 30.10.2015 in Form einer Sendebestätigung beigefügt. Diese E-Mail erreichte das Postfach des Beklagten, wurde intern noch am selben Tag an das Team 641 weitergeleitet und ausgedruckt. Der Beklagte veranlasste keine Nachforschungen hinsichtlich des Eingangs der E-Mail vom 30.01.2015 in seinem E-Mail-Postfach bzw. E-Mail-Server. Mit Bescheid vom 16.06.2015 bewilligte der Beklagte dem Kläger und seiner Bedarfsgemeinschaft auf den "Antrag vom 04.03.2015" Alg II für die Zeit vom 01.03.2015 bis 31.08.2015.

Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch und beanspruchte Alg II für die Zeit ab dem 01.01.2015 aufgrund seines am 30.01.2015 gestellten Antrages. Mit Widerspruchsbescheid vom 07.10.2015 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Ein Widerspruch hinsichtlich der Bewilligung von Leistungen ab Januar 2015 sei unzulässig, da insowe...

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