Entscheidungsstichwort (Thema)

Gewaltopferentschädigung. Nordrhein-Westfalen. Übertragung der Aufgaben der Versorgungsverwaltung auf die Landschaftsverbände. Härteregelung. seelische Störung. Grad der Schwerbeschädigung

 

Orientierungssatz

1. Die vom Landesgesetzgeber mit Art 1 Abschn 1 §§ 1 und 4 des Zweiten Gesetzes zur Straffung der Behördenstruktur in Nordrhein-Westfalen (BehStraffG NW 2) vom 30.10.2007 (GV NW 2007, 482) durchgeführte Kommunalisierung der Versorgungsverwaltung im Aufgabenbereich der Opferentschädigung und damit die Übertragung der Aufgaben auf die Landschaftsverbände ist rechtlich nicht zu beanstanden.

2. Zum Begriff der "Einrichtung der Behörden" iS des Art 84 Abs 1 GG.

3. Zum Nichtvorliegen eines Anspruchs auf Opferentschädigung mangels Vorliegens einer Schwerbeschädigung iS des § 10a Abs 1 S 1 Nr 1 OEG (hier: seelische Störung in Folge von Gewalttätigkeiten des Vaters im versorgungsrechtlich geschützten Zeitraum nach dem 23. Mai 1949).

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 23.04.2009; Aktenzeichen B 9 VG 1/08 R)

 

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten hin wird das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 01.03.2006 geändert und die Klage abgewiesen.

Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Umstritten ist, ob die Klägerin Anspruch auf Versorgung nach dem Gesetz über die Entschädigung von Opfern von Gewalttaten (Opferentschädigungsgesetz - OEG) hat. Insbesondere ist streitig, ob die Klägerin infolge körperlichen Missbrauchs in der Kindheit schwerbeschädigt mit einem GdS (Grad der Schädigungsfolge - vgl. hierzu die Änderung des § 1 a) OEG im Zusammenhang mit der Änderung des Bundesversorgungsgesetzes mit Wirkung ab 21.12.2007 - BGBl I 2007, 2904 -; vormals: Minderung der Erwerbsfähigkeit - MdE- ) von 50 v.H. ist.

Die am 00.00.1944 geborene Klägerin beantragte im Oktober 2001, ihr Leistungen nach dem OEG zu gewähren. Sie gab an, in der Zeit von 1944 bis Dezember 1953 vom Vater misshandelt worden zu sein. Infolgedessen leide sie an geringer nervlicher Belastbarkeit, Migräne, zunehmenden Depressionen und Angstgefühlen. Aus Erzählungen der Mutter wisse sie, dass der Vater ihr gegenüber bereits gewalttätig gewesen sei, als sie noch ein Säugling war. Sobald er in den Kinderwagen geschaut habe, habe sie vor Angst geschrien. Dies sei für ihren Vater der Auslöser gewesen, sie aus dem Wagen oder Bett zu reißen und gegen die Wand oder einen Schrank zu werfen.

Im Mai 1949 seien sie von E nach F gezogen. Der Vater sei jähzornig gewesen und habe ihre Mutter, ihren knapp 1 1/2 Jahre älteren Bruder und sie oft verprügelt. Er habe auch mit diversen Gegenständen insbesondere auf die Mutter eingeschlagen. 1950 habe die Mutter durch die Schläge eine Gehirnblutung erlitten. Sie selbst sei daraufhin vom Großvater nach E zu einer Tante gebracht worden. Hierzu legte die Klägerin eine Bescheinigung über den Schulbesuch in E in der Zeit vom 04.09.1950 bis 07.05.1952 vor.

Im Mai 1952 sei sie nach F zurückgekehrt. Der Vater habe die Mutter, den Bruder und sie weiterhin mit allen möglichen Gegenständen geschlagen. Ihr Bruder und sie seien immer bemüht gewesen, schon im Bett zu sein, bevor der Vater, der häufig abends Alkohol getrunken habe, nach Hause gekommen sei. Der Vater habe sie und ihren Bruder dann wach geprügelt. Einmal habe er sie gegen die Flurwand geworfen. Sie erinnere sich, dass sie sich mal habe ausziehen und auf den Tisch legen müssen. Der Vater habe gesagt, jetzt werde das "Brummel" - so habe er das weibliche Geschlechtsteil genannt - abgeschnitten. Er habe ein Messer genommen und sie in Angst und Schrecken versetzt. Wie es weiter gegangen sei, wisse sie nicht mehr. An eine weitere Situation erinnere sie sich aufgrund der Erzählungen eines Onkels. Der Vater habe ihr befohlen, sich ganz auszuziehen und sich auf einen Stuhl zu stellen. Er habe dann Befehle gegeben, sie habe stramm stehen oder Ähnliches tun müssen. 1953 habe der Vater eine andere Frau gehabt und es sei zur Trennung gekommen.

Im Übrigen gab die Klägerin an, dass sie nach außen hin in ihrer Jugend und auch später ein ganz normales Leben geführt habe. Nach dem Besuch der Realschule habe sie zunächst 1/2 Jahr in einem Büro gearbeitet. Danach habe sie die Frauenfachschule besucht und dann eine Ausbildung zur Kindergärtnerin gemacht. Anschließend habe sie als Kindergärtnerin in einem Kinderheim gearbeitet. Zunächst habe sie noch vorgehabt, Sozialpädagogik zu studieren. Sie sei dann aber zur ... (mittlerer Dienst) gegangen. 1968 habe sie geheiratet (Ehemann heute Rentner früher Dipl. Ing.). Bis zur Geburt ihres Sohnes im November 1970 sei sie bei der ... gewesen. Nach vorangegangener Beurlaubung wegen Kindererziehung habe sie 1972 nach einer Brustkrebserkrankung das Beschäftigungsverhältnis bei der ... gekündigt. Nach der Geburt ihrer Tochter im Jahr 1976 sei sie nicht mehr dauerhaft berufstätig gewesen. Vor etwa 7 Jahren sei sie für etwa 2 Monate als Geschäftsführerin beim S und zuvor für etwa 1 Jahr als Bürokraft in ...

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