Entscheidungsstichwort (Thema)

Regress wegen unzulässiger Arzneimittelverordnung

 

Orientierungssatz

1. Der Prüfungsausschuss hat auf Antrag zu prüfen, ob der Vertragsarzt im Einzelfall unwirtschaftliche Behandlungsleistungen abgerechnet hat. Gfs. sind die Prüfgremien befugt, einen Regress festzusetzen.

2. Das Arzneimittel Octagam ist nicht für die Behandlung einer progedienten Multiplen Sklerose zugelassen.

3. Eine zulassungsüberschreitende Verordnung zu Lasten der Krankenkasse kommt nur in Betracht, wenn es um die Behandlung einer schwerwiegenden Erkrankung geht, keine andere Therapie verfügbar ist und die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg erzielt werden kann.

4. Die Verordnungsfähigkeit von Octagam zur Behandlung einer progredienten Multiplen Sklerose ist nach der Rechtsprechung zum Off-Label-Use ausgeschlossen.

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 18.04.2007 abgeändert. Der Beklagte wird unter Aufhebung seines Bescheides vom 04.10.2005 verurteilt, über den Widerspruch der Beigeladenen zu 1) gegen den Bescheid des Prüfungsausschusses vom 25.08.2004 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu entscheiden. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen. Der Beklagte und die Beigeladene zu 1) tragen die Kosten des Rechtsstreits je zur Hälfte. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Festsetzung eines Regresses wegen unzulässiger Arzneimittelverordnungen gegen die Beigeladene zu 1) für die Quartale 2/2002 bis 1/2003.

Mit Schreiben vom 27.06.2003 - eingegangen am 30.06.2003 (Quartale 2 bis 4/2002) - und 02.07.2003 - eingegangen am 03.07.2003 - (Quartal 1/2003) beantragte die Klägerin die Prüfung der Verordnungsweise der Beigeladenen zu 1) - einer radiologischen Gemeinschaftspraxis - in besonderen Fällen gemäß § 48 Bundesmantelvertrag Ärzte (BMVÄ) in Verbindung mit (i.V.m.) § 15 Prüfvereinbarung. Zur Begründung gab sie an, die Beigeladene zu 1) habe ihrer - der Klägerin - Versicherten, die an Multipler Sklerose (MS) erkrankt sei, das Arzneimittel Octagam ® verordnet. Octagam ® sei zugelassen zur Substitutionstherapie bei primären Immunmangelkrankheiten, Myelom, chronisch-lymphatischer Leukämie, Kindern mit angeborenen ADS und rezidivierenden Infekten und zur Immunmodulation, aber nicht bei MS. Die Voraussetzungen für einen zulässigen Off-Label-Use des Medikaments seien nicht erfüllt. Das Bundessozialgericht (BSG) habe in seinem Urteil vom 19.03.2002 - B 1 KR 36/00 R (Sandoglobulin) - als Voraussetzung für den Off-Label-Use eines Medikaments nicht nur das Vorliegen einer schwerwiegenden Erkrankung und das Fehlen alternativer Behandlungsmöglichkeiten gefordert, sondern auch einen Wirksamkeitsnachweis in der Form, dass die Datenlage ausreichend kurativen oder palliativen Behandlungserfolg begründe. Das BSG verstehe hierunter, dass Forschungsergebnisse vorlägen, die die Zulassung für die betreffende Indikation erwarten ließen. Ein derartiger Wirksamkeitsnachweis sei für die Behandlung der schubförmig verlaufenden MS mit Immunglobulinen bisher nicht erbracht.

In ihrer Stellungnahme führte die Beigeladene zu 1) aus, bei der Versicherten läge eine MS mit sekundär progredientem schubförmigen Krankheitsverlauf mit beginnender Refrakterität auf Beta-Interferon vor. Die Verordnung intravenöser Immunglobuline - Handelsname Octagam ® - sei in Übereinstimmung mit den gesetzlichen Bestimmungen erfolgt und habe dem Stand der medizinischen Wissenschaft sowie der Rechtsprechung des BSG entsprochen. Es liege ein schwere Erkrankung vor; es seien keine zugelassenen Medikamente verfügbar gewesen, da die Beta-Interferon-Therapie die Schubhäufigkeit nicht mehr habe reduzieren können und sich der Allgemeinzustand der Versicherten verschlechtert habe; aufgrund durchgeführter Studien bestehe die begründete Aussicht, dass mit den Immunglobulinen ein Behandlungserfolg eintreten könne; dieser sei auch eingetreten.

Der Prüfungsausschuss der Ärzte und Krankenkassen Nordrhein (Prüfungsausschuss) setzte mit Bescheid vom 25.08.2004 für die vier Quartale gegen die Beigeladene zu 1) einen Regress in Höhe der Nettoverordnungskosten von insgesamt 25.386,26 Euro mit der Begründung fest, dass es sich um einen nicht zulässigen Off-Label-Use gehandelt habe.

Mit ihrem Widerspruch vertiefte die Beigeladene zu 1) ihr Vorbringen und trug im Wesentlichen ihre Auffassung vor, dass die Voraussetzungen für einen Off-Label-Use im Sinne der Rechtsprechung des BSG erfüllt seien.

Der Beklagte gab dem Widerspruch mit Bescheid vom 04.10.2005 mit der Begründung statt, dass er die Voraussetzungen für einen Off-Label-Use als gegeben ansehe.

Dagegen hat sich die Klägerin mit Klage vom 03.11.2005 gewandt: Die Voraussetzungen, die einen Off-Label-Use rechtfertigten, seien nicht erfüllt. Aufgrund der Datenlage bestehe keine begründete Aussicht, dass mit dem eingesetzten Präparat ein wissenschaftlich evidenter Behandlungserfolg zu erzielen sei. De...

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