Entscheidungsstichwort (Thema)

Abgrenzung der abhängigen Beschäftigung von der selbständigen Tätigkeit bei einem Kurierfahrer

 

Orientierungssatz

1. Bei der Abgrenzung der abhängigen Beschäftigung von der selbständigen Tätigkeit ist von Ersterer auszugehen, wenn die Tätigkeit in einem Arbeitsverhältnis unter einer Weisungsgebundenheit in einem fremden Betrieb vorliegt. Demgegenüber ist eine selbständige Tätigkeit durch das eigene Unternehmerrisiko, eine eigene Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet.

2. Ist ein Kurierfahrer innerhalb eines mit dessen Auftraggeber vereinbarten Dauerschuldverhältnisses in die Arbeitsorganisation in inhaltlicher, zeitlicher und örtlicher Hinsicht eingegliedert, ist er weisungsgebunden, unterliegt er dabei der Einhaltung eines detaillierten Verfahrens bei nicht zustellbaren Lieferungen und hat er ein wesentliches unternehmerisches Risiko nicht zu tragen, so ist von dem Bestehen einer abhängigen Beschäftigung auszugehen.

3. Dieser Zuordnung widerspricht nicht, dass er gegenüber dem Auftraggeber zum Vorhalt sächlicher und personeller Betriebsmittel verpflichtet ist, das Zustellfahrzeug selbst zu stellen hat, zum Schadensersatz verpflichtet ist, er über eine Gewerbeanmeldung verfügt, er für weitere Auftraggeber tätig werden kann, keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und bezahlten Urlaub hat.

4. Die Höhe der einem Kurierfahrer gezahlten Vergütung spricht erst dann für eine selbständige Tätigkeit, wenn sie, je Zeiteinheit, mindestens so hoch ist wie der Bruttolohn eines abhängig Beschäftigten multipliziert mit dem Faktor 1,5.

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 12.06.2015 geändert und die Klage abgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten in beiden Rechtszügen mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen, die ihre Kosten selbst tragen. Die Revision wird nicht zugelassen. Der Streitwert wird in beiden Rechtszügen endgültig auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten im Rahmen eines Statusfeststellungsverfahrens nach § 7a Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) darüber, ob die Tätigkeit des Beigeladenen zu 1) für die Klägerin als I-Kurierfahrer im Zeitraum vom 17.06.2013 bis zum 31.12.2013 der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung, der sozialen Pflegeversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung unterlag.

Die Klägerin betrieb im streitgegenständlichen Zeitraum unter der Firma F Service unter anderen zwei I-Satellitendepots (SAT) in E und I. Diesbezüglich schloss sie mit der I Logistik Gruppe Deutschland GmbH (ILGD), Niederlassung B, sogenannte Satellitendepot-Verträge (SAT-Vertrag), mit welchen sie sich zur Zustellung von Sendungen auf der "letzten Meile" verpflichtete. In diesen (hier SAT-Vertrag bzgl. des SAT E v. 15.04.2010) heißt es unter anderem wörtlich:

"1. Vertragsgegenstand 1.1 Gegenstand des Vertrages ist die Durchführung der Sendungszustellung und -abholung sowie aller damit verbundenen Nebenleistungen durch den Auftragnehmer in dem in Anlage 1 definierten Zustellgebiet. ( ...)

1.7 Der Auftragnehmer ist für die ordnungsgemäße Durchführung der Aufgaben verantwortlich. Er hat die Serviceanforderungen sicherzustellen, die ihm seitens der ILGD bekannt gemacht werden. Diese sind insbesondere aus dem "Abwicklungshandbuch SAT-Depot" und dem "I Qualitätshandbuch (für Zusteller)" im jeweils aktuellen Stand ersichtlich, deren Kenntnisnahme der Auftragnehmer bestätigt. Die genannten Unterlagen sind jederzeit an der Niederlassung für den Auftragnehmer erhältlich.

1.8 Der Auftragnehmer stellt sicher, dass er bzw. die von ihm eingesetzten Erfüllungsgehilfen während der Zustell- und Abholtätigkeit anhand ihrer vollständigen Oberkörper-Bekleidung und eines Namensschildes als I-Partner zu erkennen sind. ( ...)

1.9 ILGD überlässt dem Auftragnehmer die für die Abwicklung der Vertragspflichten standardisierten Formulare und Unterlagen für das Berichtswesen sowie die für die Erbringung der Vertragsleistung erforderlichen EDV-Geräte ("Sachmittel") gemäß Anlage 2/Beilage 1 gegen Entgelt zum Gebrauch. Die überlassenen Sachmittel sind einsatzbereit zu halten und ausschließlich im Rahmen dieses Vertrages einzusetzen. ILGD ist bei Bedarf ein zentralseitiger Zugriff auf die Daten am SAT zu gewähren. ( ...)

1.10 ILGD ist den eigenen Auftraggebern zur Einhaltung exzellenter Qualitäten verpflichtet. Daher gewährt der Auftragnehmer für die Dauer der Zusammenarbeit der ILGD zur gemeinsamen Überprüfung der Abwicklungsqualität ein nicht widerrufliches Zutrittsrecht hinsichtlich der Geschäftsräume, die der Aufragnehmer zum Sendungsumschlag nutzt.

2. Vergütung 2.1 Für die vom Auftragnehmer vertraglich zu erbringenden Leistungen wird die in Anlage 1 festgelegte Vergütung zzgl. der jeweils geltenden Mehrwertsteuer gezahlt. Vergebliche Kundenanfahrten werden nicht vergütet.

Die Abrechnung zwische...

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