Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss. Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung. Langzeitbeurlaubung aus dem Maßregelvollzug

 

Orientierungssatz

§ 7 Abs 4 S 2 SGB 2 ordnet den Leistungsausschluss nicht für die Dauer einer richterlich angeordneten Freiheitsentziehung, sondern nur für die Dauer des Aufenthalts in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung an. Wurde dem Betroffenen eine Langzeitbeurlaubung aus dem stationären Maßregelvollzug in eine eigene Wohnung erteilt, ist er daher von Leistungen des SGB 2 nicht ausgeschlossen.

 

Tenor

Auf die Beschwerden der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 19.11.2018 geändert: Der Antragsgegner wird im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes vorläufig verpflichtet, der Antragstellerin ab dem 31.10.2018 bis zum 30.4.2019 - längstens jedoch bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache - Regelleistung nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) in gesetzlicher Höhe unter Anrechnung von ggf. erzieltem Einkommen zu gewähren; im Übrigen wird die Beschwerde im einstweiligen Rechtsschutzverfahren zurückgewiesen. Der Antragstellerin wird für das einstweilige Rechtsschutzverfahren vor dem Sozialgericht Dortmund ratenfreie Prozesskostenhilfe (PKH) bewilligt und Rechtsanwalt T aus E beigeordnet. Der Antragsgegner trägt die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin in dem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes für beide Instanzen dem Grunde nach zu 1/2; Kosten des PKH-Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten. Der Antragstellerin wird für das Beschwerdeverfahren ratenfreie Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt T aus E bewilligt.

 

Gründe

Der Antragsteller begehrt im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

1) Die gem. § 172 Abs. 1 Satz 1 SGG zulässige Beschwerde des Antragstellers in dem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist in der aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet, im Übrigen ist sie unbegründet.

a) Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs voraus, d.h. des materiellen Anspruchs, für den vorläufigen Rechtsschutz begehrt wird, sowie das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d.h. die Unzumutbarkeit, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind glaubhaft zu machen - § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2 ZPO. Können ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, sind die Erfolgsaussichten der Hauptsache nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen. Scheidet eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren aus, ist auf der Grundlage einer an der Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes orientierten Folgenabwägung zu entscheiden. Die grundrechtlichen Belange der Antragsteller sind dabei umfassend in die Abwägung einzustellen (BVerfG, stattgebender Kammerbeschluss vom 12.5.2005 - 1 BvR 569/05 -, Rn. 26, juris).

aa) Nach Überzeugung des Senates sprechen starke Gründe dafür, dass die Antragstellerin für die streitgegenständliche Zeit ab dem 31.10.2018, dem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz im erstinstanzlichen Verfahren, dem Grunde nach einen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II hat.

Die Antragstellerin hat am 19.7.2018 einen Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II gestellt. Sie hat das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht, sie ist hilfebedürftig i.S.d § 8 SGB II und hat ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 3 und 4 SGB II); ferner ist sie nicht nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II von Leistungen ausgeschlossen - diese Voraussetzungen sind zwischen den Beteiligten auch nicht streitig.

Starke Gründe sprechen hier dafür, dass die Antragstellerin entgegen der Auffassung des Antragsgegners nicht nach § 7 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. Satz 1 SGB II von Leistungen ausgeschlossen ist. Nach § 7 Abs. 4 Satz 1 SGB II erhält keine Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch, wer in einer stationären Einrichtung untergebracht ist. Nach Satz 2 ist der Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung dem Aufenthalt in einer stationären Einrichtung gleichgestellt.

Für die Antragstellerin ist Maßregelvollzug angeordn...

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