Entscheidungsstichwort (Thema)

Ausschluss von Leistungen der Grundsicherung für einen Unionsbürger bei förmlicher Feststellung des Aufenthaltsrechts durch die Ausländerbehörde

 

Orientierungssatz

1. Von Leistungen der Grundsicherung sind Ausländer nach § 7 Abs. 1 S. 1 SGB 2 ausgeschlossen, die u. a. keinen gewöhnlichen Aufenthalt in der BRD nachweisen können.

2. Eine fehlende Dauerhaftigkeit i. S. einer nicht vorhandenen Zukunftsoffenheit liegt bei Unionsbürgern dann vor, wenn ihr Aufenthalt nach einer bereits vorliegenden Entscheidung der dafür zuständigen Ausländerbehörde auflösend befristet oder auflösend bedingt ist. Die sofortige Ausreisepflicht des Unionsbürgers wird durch die förmliche Verlustfeststellung nach § 7 Abs. 1 S. 1 FreizügG begründet, wenn nicht Rechtschutz in Anspruch genommen wird.

3. Den Sozialleistungsträgern ist ebenso wie den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit eine eigenständige Prüfung der materiellen aufenthaltsrechtlichen Lage nach Erlass einer Verlustfeststellung verwehrt.

 

Tenor

Die Beschwerden der Antragsteller gegen den Beschluss des Sozialgerichts Duisburg vom 22.12.2017 werden zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

 

Gründe

Die zulässigen Beschwerden der Antragsteller sind unbegründet. Das Sozialgericht hat den Antrag der Antragsteller auf einstweilige Verpflichtung des Antragsgegners auf Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts sowie den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe im Ergebnis zu Recht abgelehnt.

Gemäß § 86b Abs. 2 S. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint (Regelungsanordnung). Der Erlass einer solchen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs (d.h. eines materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird) sowie eines Anordnungsgrundes (d.h. der Unzumutbarkeit, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten) voraus. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind glaubhaft zu machen, § 86b Abs. 2 S. 4 SGG i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO. Eine Tatsache ist dann glaubhaft gemacht, wenn ihr Vorliegen überwiegend wahrscheinlich ist. Die bloße Möglichkeit des Bestehens einer Tatsache reicht noch nicht aus, um die Beweisanforderungen zu erfüllen. Es genügt jedoch, dass diese Möglichkeit unter mehreren relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach der Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht (vgl. zum Begriff der Glaubhaftmachung: BSG Urteil vom 17.04.2013 - B 9 V 1/12 R - und Beschluss vom 08.08.2001 - B 9 V 23/01 B).

Die Antragsteller haben keinen Anordnungsanspruch auf Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II glaubhaft gemacht.

Die Anspruchsvoraussetzungen des § 7 Abs. 1 S. 1 SGB II sind bereits nicht gegeben, so dass es entgegen der Auffassung des Sozialgerichts nicht darauf ankommt, ob ein Ausschlussgrund nach § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II verwirklicht ist.

Die Antragsteller zu 2) bis 6) sind in den Jahren 2008, 2010, 2013, 2016 und 2017 geboren und haben daher noch nicht das 15. Lebensjahr vollendet (§ 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB II). Sie könnten daher nur als Angehörige einer Bedarfsgemeinschaft, vermittelt über ihre Mutter, die Antragstellerin zu 1), Leistungen nach dem SGB II erhalten (§ 7 Abs. 2 S. 1 und Abs. 3 Nr. 4 SGB II). Die Antragstellerin zu 1) ist jedoch nicht leistungsbedingt, da sie keinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland hat (§ 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB II). Nach § 30 Abs. 3 S. 2 SGB I hat jemand den gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er sich an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt.

Diese Definition gilt für alle Sozialleistungsbereiche des Sozialgesetzbuchs, soweit sich nicht aus seinen besonderen Teilen etwas anderes ergibt (§ 37 SGB I). Der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts ist in erster Linie nach den objektiv gegebenen tatsächlichen Verhältnissen im streitigen Zeitraum zu beurteilen (BSG, Urteil vom 29.05.1991 - 4 RA 38/90). Entscheidend ist, ob der örtliche Schwerpunkt der Lebensverhältnisse faktisch dauerhaft im Inland ist. Dauerhaft ist ein solcher Aufenthalt, wenn und solange er nicht auf Beendigung angelegt, also zukunftsoffen ist. Mit einem Abstellen auf den Schwerpunkt der Lebensverhältnisse im Gebiet der Bundesrepublik soll - auch im Sinne einer Missbrauchsabwehr - ausgeschlossen werden, dass ein Wohnsitz zur Erlangung von Sozialleistungen im Wesentlichen nur formal begründet, dieser jedoch tatsächlich weder genutzt noch beibehalten werden soll (BSG, Urteil vom 30.01.2013 - B 4 AS 54/12 R - juris Rn. 18 m.w.N.).

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