Entscheidungsstichwort (Thema)

Anspruch eines von Leistungen des SGB 2 und des SGB 12 ausgeschlossenen Ausländers auf Leistungen nach dem AsylbLG

 

Orientierungssatz

1. Hat ein Ausländer keinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland und besitzt er aufgrund einer wirksamen Verlustfeststellung seiner Freizügigkeitsberechtigung kein Aufenthaltsrecht mehr i. S. des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2a SGB 2, so ist er nach § 7 Abs. 1 S. 2 SGB 2 von Leistungen des SGB 2 ausgeschlossen.

2. Hat die zuständige Ausländerbehörde eine Verlustfeststellung erlassen und ist diese wirksam, so ist sowohl den Sozialleistungsträgern als auch den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit eine eigenständige Prüfung der materiellen aufenthaltsrechtlichen Lage verwehrt.

3. Aufgrund des Bestehens der Ausreisepflicht und einer noch zu erhebenden Klage vor dem Verwaltungsgericht (Suspensiveffekt) hat der Ausländer einen Anspruch auf Verfahrensduldung für die Dauer des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht. Damit hat er Anspruch auf Leistungen nach § 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG.

4. Nach § 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG sind leistungsberechtigt Ausländer, die sich tatsächlich im Bundesgebiet aufhalten und die vollziehbar ausreisepflichtig sind, auch wenn eine Abschiebungsandrohung noch nicht oder nicht mehr vollziehbar ist.

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 19.07.2018 geändert. Die Beigeladene wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller vom 09.05.2018 bis zum 31.12.2018 vorläufig Leistungen nach § 3 AsylbLG nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu erbringen. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Die Beigeladene hat die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers zu erstatten.

Dem Antragsteller wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwältin U aus L beigeordnet.

 

Gründe

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 19.07.2018 ist zulässig und im tenorierten Umfang begründet. Das Sozialgericht hat zwar den Antrag auf einstweilige Verpflichtung des Antragsgegners bzw. der Beigeladenen zur vorläufigen Erbringung von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II bzw. dem SGB XII zu Recht abgelehnt. Jedoch war der Antrag insofern begründet, als die Beigeladene einstweilen zur vorläufigen Erbringung von Leistungen nach dem AsylbLG zu verpflichten ist.

Der Antrag der anwaltlichen Bevollmächtigten des Antragstellers, hilfsweise der Beigeladenen im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, dem Antragsteller Leistungen nach dem SGB XII zu gewähren, ist unter Berücksichtigung des Meistbegünstigungsgrundsatzes (vgl. dazu BSG, Urteil vom 16.02.2012 - B 4 AS 14/11 R, Rn. 19 m.w.N.) dahingehend auszulegen, dass davon ebenfalls der Antrag auf Verpflichtung der Beigeladenen zur Erbringung von Leistungen nach dem AsylbLG umfasst ist. Denn das Begehren des Antragstellers ist darauf gerichtet, existenzsichernde Leistungen zu erhalten. Bei verständiger Würdigung ist dieses Begehren im Hinblick auf die Beigeladene nicht nur auf die Leistungen nach dem SGB XII beschränkt, sondern umfasst ebenso die Leistungen nach dem AsylbLG, für die sie ebenfalls zuständig ist.

Nach § 86b Abs. 2 S. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs (d.h. eines materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird) sowie eines Anordnungsgrundes (d.h. der Unzumutbarkeit, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten) voraus. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bzw. die besondere Eilbedürftigkeit sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 S. 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Eine Tatsache ist dann glaubhaft gemacht, wenn ihr Vorliegen überwiegend wahrscheinlich ist. Die bloße Möglichkeit des Bestehens einer Tatsache reicht noch nicht aus, um die Beweisanforderungen zu erfüllen. Es genügt jedoch, dass bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon am wahrscheinlichsten ist, weil nach der Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht (vgl. zum Begriff der Glaubhaftmachung BSG, Beschlüsse vom 07.04.2011 - B 9 VG 15/10 B und vom 08.08.2001 - B 9 V 23/01 B; Urteil vom 17.04.2013 - B 9 V 3/12 R).

Der Antragsteller hat weder hinsichtlich der Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II (dazu unter 1.) noch hinsichtlich der Hilfen zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel des SGB XII (dazu unter 2.) einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Hinsichtlich der Leistungen nach dem AsylbLG besteht sowohl ein Anordnungsanspruch als auch ein Anordnungsgrund (dazu unter 3.).

1. Die Anspruchsvoraussetzungen des § 7 Abs. 1 S. 1 SGB II sind nicht e...

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