Entscheidungsstichwort (Thema)

Anforderungen an den Nachweis des Getrenntlebens von Ehegatten zur Widerlegung einer bestehenden Bedarfsgemeinschaft

 

Orientierungssatz

1. Nach § 7 Abs. 3 Nr. 3a SGB 2 gehört zu einer Bedarfsgemeinschaft auch der nicht getrennt lebende Ehegatte.

2. Maßgeblich sind die familienrechtlichen Grundsätze zum Gegenbegriff des Getrenntlebens. Getrenntleben setzt u. a. einen objektivierbaren Trennungswillen voraus (BSG Urteil vom 18. 2. 2010, B 4 AS 49/09 R). Daran fehlt es u. a., wenn die Ehegatten nach vollzogener Aufgabe der häuslichen Gemeinschaft auf Dauer gemeinsam in der Wohnung verbleiben, ohne dass mindestens einer von ihnen erkennbar die Scheidung anstrebt.

3. Für eine weiterhin bestehende Verbundenheit spricht u. a., wenn eine Verfügungsbefugnis über das Konto des anderen Ehegatten besteht.

 

Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Aachen vom 28.04.2020 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

 

Gründe

1. Im Beschwerdeverfahren ist - wie im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vor dem Sozialgericht - allein die Gewährung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) in Höhe des monatlichen Regelbedarfes ab dem 12.12.2019 (Antragstellung bei dem Sozialgericht) streitig. Denn mit Schriftsatz vom 17.04.2020 hat der Antragsteller seinen Antrag im sozialgerichtlichen Verfahren auf den Regelbedarf beschränkt.

2. Die Beschwerde des Antragstellers ist zum Teil unzulässig (vgl. hierzu a.) und im Übrigen unbegründet (vgl. hierzu b.).

a. Die Beschwerde ist mangels eines Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig, soweit sie auf die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II ab dem 15.07.2020 gerichtet ist.

Für die Zulässigkeit eines Antrags auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes müssen die allgemeinen Prozessvoraussetzungen, wozu auch das Rechtsschutzbedürfnis gehört, erfüllt sein. Gleiches gilt für das Beschwerdeverfahren. Maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (Keller in: Meyer/Ladewig u.a., SGG, 12. Auflage 2017, § 86b Rn. 42). Ein Rechtsschutzbedürfnis fehlt unter anderem dann, wenn sich das Rechtsschutzziel bereits erledigt hat (Keller in: Meyer/Ladewig u.a., SGG, 12. Auflage 2017, § 86b Rn. 26b).

Ein Rechtsschutzbedürfnis liegt für die Zeit ab dem 15.07.2020 nicht mehr vor. Mit Schriftsatz vom 28.10.2020 in Verbindung mit dem an den Antragsteller gerichteten Schreiben vom 26.10.2020 hat der Antragsgegner seine Bereitschaft erklärt, für den Zeitraum ab dem 15.07.2020 bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens, längstens jedoch bis zum 30.06.2021, ohne Anerkennung einer Rechtspflicht (vorläufig) einen monatlichen Betrag in Höhe von 432 EUR an den Antragsteller zu zahlen. Dies entspricht der Höhe nach dem ab dem 01.01.2020 maßgeblichen monatlichen Regelbedarf für alleinstehende Erwachsene gemäß der Regelbedarfsstufe 1 (§ 20 Abs. 2 Satz 1, Abs. 1a Satz 1 SGB II i.V.m. der Anlage zu § 28 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - SGB XII -). Für den Monat Juli 2020 hat der Antragsgegner eine anteilige Auszahlung der Leistungen angekündigt. Telefonisch hat der Antragsgegner am 12.11.2020 bestätigt, dass am 27.10.2020 Zahlungen von 432 EUR (Regelbedarf für November 2020) und 1.540,80 EUR (Regelbedarf für die Zeit vom 15.07.2020 - 31.10.2020) angewiesen worden sind. Für die Zeit ab dem 15.07.2020 ist eine gerichtliche Entscheidung somit nicht mehr erforderlich.

b. Im Hinblick auf die begehrte SGB II-Leistungsgewährung für die Zeit vom 12.12.2019 (Antragstellung bei dem Sozialgericht) bis zum 14.07.2020 ist die Beschwerde unbegründet.

Der Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGB II setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs voraus, d.h. des materiellen Anspruchs, für den vorläufigen Rechtsschutz begehrt wird, sowie das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d.h. die Unzumutbarkeit, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind glaubhaft zu machen, § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG iV.m. § 920 Abs. 2 ZPO.

Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Nach der im Beschwerdeverfahren gebotenen summarischen Prüfung bildete er bis zum 14.07.2020 eine Bedarfsgemeinschaft mit seiner Ehefrau, der Zeugin C (vgl. hierzu aa.). Dass er als Mitglied dieser Bedarfsgemeinschaft hilfebedürftig gewesen ist, hat der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht (vgl. hierzu bb.).

aa. Die gesetzlichen Voraussetzungen einer Bedarfsgemeinschaft waren bei summarischer Prüfung bis einschließlich 14.07.2020 erfüllt.

Gemäß § 7 Abs. 3 Nr. 3a) SGB II gehören zur Bedarfsgemeinschaft als Partnerin oder Partner der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten die nicht dauernd getrennt lebende Ehegattin oder der nicht dauernd getrennt lebende Ehegatte.

Ein Getrenntleben liegt bei dem Antragsteller und der Zeugin C erst seit de...

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