Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Ladung des Gerichts zur Beweiserhebung und persönlichen Anhörung des Klägers in Tel Aviv (Israel). Streitgegenstand der Rentenansprüche aus Beschäftigungen in einem Ghetto. Ghetto Petrikau. Ladung eines gesetzlichen Vertreters der beklagten Behörde zum Termin. Verweigerung der Teilnahme an der mündlichen Verhandlung durch den Behördenvertreter und fehlende ordnungsgemäße Vertretung im Termin. Verhängung eines Ordnungsgeldes gegen den Geschäftsführer der beklagten Behörde

 

Orientierungssatz

1. Über die Gleichstellung israelischer Versicherter mit Inländern gemäß Art 2 Abs 1, Art 3 Abs 1 Buchst a und Art 4 Abs 1 S 1 des Deutsch-Israelischen Sozialversicherungsabkommens (DISVA) vom 17.12.1973 (BGBl II, 246, 443) idF des Änderungsabkommens vom 7.1.1986 (BGBl II, 863, 1099) in Verbindung mit dem Haager Abkommen vom 1.3.1954 über den Zivilprozess (BGBl II 1958, 577) - sind auch israelische Anwälte in sozialversicherungsrechtlichen Angelegenheiten israelischer Versicherter zur Vertretung vor deutschen Sozialgerichten befugt - und werden dazu in allen Instanzen der Sozialgerichtsbarkeit seit je her unbeanstandet zugelassen.

2. Bei in Israel nach §§ 155, 103, 106 SGG durchgeführten Terminen handelt es sich aus innerdeutscher Perspektive in rechtlicher Hinsicht um eine reguläre Anhörung und Beweiserhebung gemäß § 106 SGG, die lediglich in eine konsularische Beweisaufnahme gemäß § 202 SGG iVm § 363 ZPO und § 19 Konsulargesetz (KonsG) sowie Art 15ff HBÜ eingebettet ist.

3. Die persönliche Anhörung der Kläger in ZRBG-Verfahren ist zur Ausschöpfung aller bei der Amtsermittlung zu Gebote stehenden Möglichkeiten wie auch zur Gewährung rechtlichen Gehörs nach Art 103 GG und § 62 SGG angemessen, da es außer ihrer eigenen Erinnerung regelmäßig keine anderen Beweismöglichkeiten gibt. Im Einzelfall kann die persönliche Anhörung durch eine Verringerung des tatrichterlichen Ermessens auf Null sogar zwingend geboten sein.

4. Israelischen Klägerinnen und Kläger der ZRBG-Verfahren haben hinsichtlich der Anwesenheit der Sozialleistungsträger in sozialgerichtlichen Streitverfahren einen Anspruch auf Gleichbehandlung (Art 3 Abs 1 und 3 GG) mit allen übrigen Klägern. Dass sie ihren Wohnsitz als Folge der deutschen Verfolgung nach dem Krieg und der Vernichtung des jüdischen Lebens in Europa in Israel nehmen mussten, kann ihnen dabei von deutschen Behörden oder Gerichten aus historischen, aber auch aus den Rechtsgründen der Art 2 ff DISVA sowie des Haager Abkommens über den Zivilprozess nicht entgegen gehalten werden.

5. Bei juristischen Personen ist das Ordnungsgeld gegen den zum persönlichen Erscheinen geladenen gesetzlichen Vertreter und nicht gegen die juristische Person zu verhängen.

 

Tenor

Der zuständigen Geschäftsführerin der Beklagten, Frau L, wird wegen unentschuldigten Fehlens im Termin vom 3.12.2008 ein Ordnungsgeld in Höhe von 1000 Euro auferlegt.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten um Leistungen nach dem Gesetz über die Zahlbarmachung von Rentenansprüchen aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG), das der Deutsche Bundestag zur Schließung einer letzten Lücke in der Wiedergutmachung im Jahr 2002 einstimmig verabschiedet hat (Bundesgesetzblatt Teil I - BGBl I - 2002, Seite 2074).

Der Kläger wurde 1926 im westpolnischen Ort Piotrköw Tribunalski (später deutsch: "Petrikau") geboren. Dort hat er den deutschen Einmarsch im Zweiten Weltkrieg, die Errichtung eines jüdischen Ghettos und die Ermordung seiner Eltern erlebt. 1945 wurde er im Konzentrationslager Buchenwald befreit und wanderte danach über Frankreich nach Israel aus, wo er bis heute lebt. Während seines Berufslebens arbeitete der Kläger bei der Hafenbehörde in Haifa - am Ende als Abteilungsleiter. 1962 wurde der Kläger nach dem Bundesentschädigungsgesetz (BEG) als Verfolgte/r des Nationalsozialismus anerkannt. 1992 beantragte er bei der Beklagten Altersrente nach dem (unter anderem) für (frühere) Angehörige des so genannten deutschen Sprach- und Kulturkreises (dSK) geltenden Fremdrentengesetz (FRG). Diesen Antrag lehnte die Beklagte 1998 mit im Jahr 2000 bestandskräftig gewordenem Widerspruchsbescheid unter Hinweis auf die fehlenden Deutsch-Kenntnisse des Klägers ab. Im Juni 2002 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Überprüfung dieser Entscheidung und stellte zugleich einen Antrag auf Altersrente nach dem ZRBG für die von ihm im Ghetto Petrikau in der dortigen Glasfabrik "Hortensia" von 1940 bis 1942 geleistete Arbeit.

Die Beklagte zog die BEG-Entschädigungsakten des Klägers bei und übersandte ihm einen in deutscher Sprache verfassten ZRBG-Fragebogen über die geltend gemachte Beschäftigung im Ghetto Petrikau. Der Kläger vervollständigte die erbetenen Angaben über die dortige Tätigkeit ("an der Maschine, allerlei Glassachen hergestellt, auch bis zum Ofen") die Entlohnung ("jeden Freitag Lohn im Couvert -wieviel nicht mehr erinnerlich") sowie die Bewachung auf dem Weg und während der Arbeit ("erst durch jüdische Polize...

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