Leitsatz (redaktionell)

1. Der Anspruch auf Gewährung von Grundsicherungsleistungen kann nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II für Ausländer ausgeschlossen werden. Die Leistungsausschlüsse nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II sind europarechtskonform und verfassungsmäßig.

2. Leistungen nach § 23 Abs. 1 SGB XII können für Ausländer ausgeschlossen werden.

3. Die Gewährung von Härtefallleistungen nach § 23 III 6 SGB XII setzt Hilfebedürftigkeit sowie eine besondere Härte voraus. Dies erfordert ganz außergewöhnliche individuelle Situationen, etwa schwere, dauerhafte, eine Reiseunfähigkeit begründende Erkrankungen. Eine Härtefallleistung nach § 23 III 6 begründende Situation liegt in der Regel vor, wenn Abschiebungsverbote nach dem AufenthG eingreifen würden.

4. Um unter Berufung auf gesundheitliche Gründe eine Aussetzung der Abschiebung zu erwirken, muss der Betroffene der Ausländerbehörde eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung vorlegen, die den Anforderungen des § 60a Abs. 2c S. 2, S. 3 3 AufenthG genügt.

5. Ein Härtefall ergibt sich auch nicht aus dem Grund, dass die erwachsenen Kinder der Antragstellerin sich in Deutschland aufhalten. Dem steht auch nicht Art. 8 EMRK entgegen.

 

Normenkette

SGB II § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2; SGB XII § 23 III; AufenthG § 60a Abs. 2c Sätze 2-3; EMRK Art. 8

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Beigeladenen wird der Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 13.03.2023 geändert und der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.

Außergerichtliche Kosten der Antragstellerin sind in beiden Instanzen nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die zulässige Beschwerde der Beigeladenen ist begründet.

Die Antragstellerin hat weder gegen den Antragsgegner einen Anordnungsanspruch auf Gewährung von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II (dazu 1.) noch einen Anordnungsanspruch auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB XII gegen die Beigeladenen glaubhaft gemacht (dazu 2.).

Gemäß § 86b Abs. 2 S. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint (Regelungsanordnung). Der Erlass einer solchen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs (d.h. eines materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird) sowie eines Anordnungsgrundes (d.h. der Unzumutbarkeit, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten) voraus. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind glaubhaft zu machen, § 86b Abs. 2 S. 4 SGG i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO. Eine Tatsache ist dann glaubhaft gemacht, wenn ihr Vorliegen überwiegend wahrscheinlich ist. Die bloße Möglichkeit des Bestehens einer Tatsache reicht noch nicht aus, um die Beweisanforderungen zu erfüllen. Es genügt jedoch, dass diese Möglichkeit unter mehreren relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach der Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht (vgl. zum Begriff der Glaubhaftmachung: BSG Urteil vom 17.04.2013 - B 9 V 1/12 R - und Beschluss vom 08.08.2001 - B 9 V 23/01 B).

1. Zutreffend hat das Sozialgericht entschieden, dass die Antragstellerin gegenüber dem Antragsgegner keinen Anordnungsanspruch auf Gewährung von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II glaubhaft gemacht hat, da sie gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II von diesen Leistungen ausgeschlossen ist. Denn die Antragstellerin verfügt allenfalls nur über ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche nach § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG/EU. Ein anderes Aufenthaltsrecht aus §§ 2, 3, 4, 4a FreizügG/EU oder nach den Bestimmungen der RL 2004/38/EG besteht für sie nicht. Die Antragstellerin übt keine (abhängige oder selbständige) Tätigkeit aus (§ 2 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 FreizügG/EU, Art. 7 Abs. 1 Buchst. a) RL 2004/38/EG). Sie hält sich auch nicht zu dem Zwecke in Deutschland auf, Dienstleistungen zu erbringen oder in Anspruch zu nehmen (§ 2 Abs. 2 Nrn. 3 und 4 FreizügG/EU). Sie verfügte nicht über ausreichende Existenzmittel, um ihren Lebensunterhalt und Krankenversicherungsschutz selbst zu decken (§ 2 Abs. 2 Nr. 5, § 4 FreizügG/EU, Art. 7 Abs. 1 Buchst. c) RL 2004/38/EG).

Auch die Voraussetzungen für ein Daueraufenthaltsrecht (§ 2 Abs. 2 Nr. 7, § 4a FreizügG/EU, Art. 16 RL 2004/38/EG) sowie für die Rückausnahme des § 7 Abs. 1 S. 4 SGB II hat die Antragstellerin nicht glaubhaft gemacht. Der Senat nimmt insoweit Bezug auf die Ausführungen des LSG NRW im Beschluss vom 13.07.2022 - L 7 AS 585/22 B ER, die er sich nach Prüfung der Sach- und Rechtslage zu eigen macht. Die Antragstellerin konnte insbesondere auch im hiesigen Verfahren nicht glaubhaft machen, dass sie seit mindestens fünf Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland hat. Es ist weiterhin völlig unklar, wo sich die Antragstellerin in der Zeit vom 01.09.2016 bis 24.07.2019 aufgehalten hat. Die hierzu bisher gemachten Angaben sind in sich widersprüchlich.

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